Wissenschaft.de
Horizonten
Wie Pharmaforscher Medikamente entwickeln
Eine Sonderpublikation in Zusammenarbeit mit der Boehringer Ingelheim GmbH
Vom Elfenbeinturm zum Forschungsbiotop
02 _ Vom Elfenbeinturm zum
Früher konnte es sehr lange dauern, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Pharmaforschung einflossen. Der Grund dafür waren starke
Ein tiefer Einblick in moderne Pharmaforschung
Berührungsängste zwischen Universitäten und Industrie – Kooperationen waren selten. Der Weg von der Grundlagenforschung bis zur Entwicklung
Pharmaforschung in einem
neuer Therapien kam deshalb so nur sehr mühsam voran. Heute ist dies zum Glück anders: Pharmaindustrie und Universitäten arbeiten mittlerweile
interdisziplinären Biotop
Hand in Hand zusammen, um gemeinsam ein therapeutisches Problem zu lösen, mit dem Wohl des Patienten im Mittelpunkt. In dieses interdisziplinäre
Niemals zuvor in der Geschichte wurden Menschen so alt.
Biotop gesel en sich außerdem fünf weitere Gruppen: Junge Biotechunternehmen, akademische Netzwerke, medizinische Forschungseinrichtungen,
Und: Die Lebenserwartung steigt weiter. Ein heute in Deutsch-
04 _ Schatzsuche im reich der Moleküle
staatliche Institutionen und die Patienten selbst. Sie al e sind beteiligt, wenn es um die Entwicklung neuer Medikamente geht. Jede Gruppe – unten
land geborener Junge hat eine statistische Lebenserwartung von
Nintedanib ist ein Medikament,
als Heilpflanze dargestel t – bringt dabei ihre Stärken und Erfahrungen ein, damit Erkrankten am Ende besser und schnel er geholfen werden kann.
fast 78 Jahren, ein neugeborenes Mädchen von fast 83 Jahren.
das bei zwei Krankheiten hilft
Für diese Entwicklung gibt es eine Reihe von Ursachen: Ho-
Text & Grafik: Daniela Leitner
her Lebensstandard, ausgewogene Ernährung, Arbeitsschutz,
13 _ lichtschalter für nervenzellen
Sport – und der medizinische Fortschritt. Ärzte erhalten und
Mit Optogenetik lassen sich erstmals
retten Menschenleben. Und Pharmazeutika helfen ihnen dabei
einzelne Nervenzellen untersuchen
und sorgen nicht selten dafür, das Leben auch bei chronischen
Krankheiten wieder lebenswert zu gestalten.
14 _ „die menschliche Komponente ist
Trotz dieser positiven Entwicklung stehen Pharmaunterneh-
wichtig für den Erfolg"
men immer wieder in der Kritik, nichts anderes zu wollen, als
Andreas Barner über ethische Verantwortung
• investieren und forschen
rasch möglichst viel Geld zu verdienen.
und Perspektiven in der Pharmaindustrie
• erforschen molekulare
Krankheitsprozesse
Klar ist, ohne finanzielle Erträge gäbe es keine neuen Medi-
• entwickeln Wirkstoffe zu
kamente. Denn nur ein Unternehmen, das wirtschaftlich erfolg-
18 _ neue Wege im Kampf gegen Krebs
• betreiben Grund-
Medikamenten weiter
reich ist, hat die Kraft, die oft mehr als ein Jahrzehnt dauernde
Immuntherapeutische Ansätze sind die größ-
• haben Erfahrung in klinischer
• erforschen molekulare
Entwicklung für ein Medikament durchzustehen.
ten Hoffnungsträger der Pharmaindustrie
Forschung und Zulassung
Krankheitsprozesse
In dieser Sonderausgabe dokumentiert bild der wissenschaft
sowie Produktion und Vertrieb
• entwickeln neue Methoden
beispielhaft die Herausforderungen, die bei der Medikamenten-
• führen erste klinische
21 _ impressum
und identifizieren
entwicklung zu meistern sind. Wie verwoben das ist, offenbart
Ansätze zur Beeinflussung
die große Infografik auf der gegenüberliegenden Seite. Wir prä-
22 _ der Mann für Sicherheit
sentieren Ihnen den „Aufbruch zu neuen Horizonten" in Ko-
Christopher Corsico ist verantwortlich für
operation mit Boehringer Ingelheim: einem Global Player der
die Medikamentensicherheit
Pharma-Branche; einem Unternehmen, das am 1. August 2015
bereits 130 Jahre alt wurde; einer sich ausschließlich in Famili-
26 _ Kraftakt für einen lebensretter
enbesitz befindlichen Firma, die sich dezidiert zu ethischen Prin-
Zwischen Entwicklung und Vermarktung
• artikulieren
zipien bekennt.
eines Arzneimittels steht die Zulassung
Ich bin mir bewusst, dass viele unserer Leserinnen und Leser
dieses bild der wissenschaft plus kritisch in die Hand nehmen.
32 _ im Zeichen des Wandels
Doch Sie werden das nicht bereuen. Denn vieles von dem, was
Wie Wissenschaftler den Boden für Innova-
Sie hier lesen, vermittelt Einblicke, die Sie sonst kaum bekommen.
36 _ Meilensteine bei Boehringer ingelheim
Zentren / Kliniken,
• forschen und entwickeln
nachwuchsforscher im Porträt
• liefern neue Konzepte
Welche Perspektiven die
und Wirkstoffe, die
Klinische Forschungs-
Pharmaforschung ihnen bietet.
anschließend von
Pharmapartnern weiter -
07 _ Ulrike Groß
entwickelt werden
09 _ david Wyatt
Andre Broermann
25 _ david Keays
• wägen Sicherheit, Effektivität,
31 _ Alessandra Bartolozzi
Kosten und Nutzen ab• entscheiden über Zulassung und Erstattung• tauschen sich mit Unternehmen und Patientenvertretungen aus, um den besten Weg zur Zulassung zu finden
• führen klinische Studien und Zulassungsstudien durch
afik: Daniela LeitnerGr
• führen Anwendungsstudien durch
2 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 3
Schatzsuche
im Reich der
Moleküle
Früher war oft Zufall im Spiel, wenn Wissenschaftler Medikamente entdeckten. Doch moderne
Arzneimittelforschung erlaubt es, Wirkstoffe auf einer rationalen Basis zu entwickeln – und
manchmal lassen sich damit sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
von Claudia Eberhard-Metzger
Es gibt Krankheiten, gegen die kein
Kraut gewachsen ist. Und das sind noch immer erstaunlich viele: Ein
Drittel der mehr als 30 000 Leiden, von denen die Menschheit geplagt wird, lässt sich überhaupt nicht oder nur unzurei-chend behandeln. Die idiopathische Lun-genfibrose zählte noch bis vor Kurzem dazu. Was die Erkrankung verursacht, ist unbekannt; wer sie erleidet, stirbt meist drei bis vier Jahre nach der Diag-nose. Damit hat die Lungenfibrose eine schlechtere Prognose als viele Krebser-krankungen. Doch seit jüngster Zeit gibt es zwei Medikamente, mit denen sich das Fortschreiten des schweren Leidens erst-mals hinauszögern lässt. Eines davon ist Nintedanib, ein Wirkstoff von Boehrin-ger Ingelheim. An seiner Entwicklung lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie Arzneimittelforscher heute vorgehen, um im Reich der Moleküle nach neuen Be-handlungsweisen gegen schwere Leiden . Scheibledes Menschen zu fahnden. „In der Ver-gangenheit war es oft der Zufall, der die otos: WGeschicke leitete", sagt Frank Hilberg Alle F
t Lutz Wollin war maßgeblich an der Entwick-
Die meisten Wirkstoff-Kandidaten scheitern und erlangen nie
lung von Nintedanib als Arznei gegen idiopathische
den Ehrentitel „Medikament". Nintedanib ist diese Ehre gleich
Lungenfibrose beteiligt. Im Hintergrund Fibroblas-
zweifach zuteil geworden: Es eignet sich als Arznei für Patienten
ten, Zellen des Bindegewebes, die eine zentrale
mit einem Adenokarzinom und bei idiopathischer Lungenfibrose.
Rolle bei der Entstehung der Erkrankung spielen.
Im Bild: Weichkapseln auf dem Sicherheitsdatenblatt.
4 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 5
die Wachstumsbotschaft im Innern der Proteins VEGF auszuschalten, die Angio-Zelle von zahlreichen Molekülen wie der genese anzuhalten und so zu verhindern, Stab bei einem Staffellauf weitergereicht dass Blutgefäße entstehen, die Tumore am und dabei verstärkt. Die molekulare Si-
Leben halten. Doch wie findet man Subs-
gnalkette endet im Zellkern. Dort wer-
tanzen, die VEGF ausbremsen können?
den Gene angeschaltet, die Zellen dazu
„Wir stellten zunächst eine Biblio-
veranlassen, sich zu teilen; andere Gene thek mit rund 100 000 Molekülen zu-bestimmen, wie die neu gebildeten Zellen sammen, die uns biologisch interessant mit anderen Zellen Kontakt aufnehmen erschienen", erläutert Frank Hilberg. und auf welche Weise sie sich zu einem „Anschließend prüften wir, ob eines der funktionstüchtigen Blutgefäß zusammen-
Moleküle die Funktion des Zielproteins
schließen sollen.
verändern kann." Die so identifizierten Moleküle wurden systematisch modifi-
Zur Vermehrung animiert
ziert, um die erwünschte hemmende Wir-kung zu verbessern. Bereits die tausendste
Zu den einflussreichsten Mitspielern Prüfsubstanz zeigte einen Effekt und er-
bei der Angiogenese zählt der Vascular En-
klomm nach weiteren Analysen zügig die
dothelial Growth Factor, kurz VEGF. Der nächste wichtige Untersuchungsstufe auf Wachstumsfaktor animiert Zellspezialisten der langen Treppe zum Medikament, die – die Endothelzellen der Blutgefäße – da-
präklinische Toxikologie. Dort ermitteln
zu, sich zu vermehren. Endothelzellen sind die Arzneimittelforscher – weit vor jeder für Blutgefäße unverzichtbar. Sie kleiden denkbaren Anwendung am Menschen –, die Gefäße von innen wie eine dünne Ta-
wie sich der Wirkstoff verhält, wenn er
pete aus und sind für nichts weniger ver-
sich nicht mehr im Reagenzglas, sondern
antwortlich als den lebenswichtigen Gas-, in einem lebenden Organismus befindet. Flüssigkeits- und Stoffaustausch zwischen „In der Toxikologie ist unser erstes viel-
Blut und umliegendem Gewebe. Das Ziel versprechendes Molekül mit Pauken und von Frank Hilberg und Gerald Roth war Trompeten durchgefallen", erinnert sich
es Mitte der 1990er-Jahre, die Wirkung des Frank Hilberg. Es zeigten sich schwere
Frank Hilberg erklärt, wie Nintedanib die Teilung von verschiedenen Zelltypen hemmt, die an der Blutgefäßbildung beteiligt sind.
von Boehringer Ingelheim. Die moderne zulocken, um ihre Versorgung mit Nähr-
stellte Anfang der 1970er-Jahre die Hy-
Pharmaforschung könne aufgrund eines stoffen und Sauerstoff sicherzustellen. pothese auf, dass alle Krebsarten von der
Ulrike Groß _ geboren 1982 in Lauffen am Neckar, ist Chemikerin und Laborleiterin in der
besseren molekularen Verständnisses der Ohne Anschluss an das Blutgefäßsystem Angiogenese abhängig seien. Folkman
Medizinischen Chemie.
Krankheitsentstehung jedoch auf eine ra-
des Körpers kommen Tumore über die gab der Krebsforschung damit eine neue
tionale Strategie setzen und „intelligent Größe eines Senfkorns kaum hinaus. Richtung und der Suche nach Wirkstof-
„Ich war schon lange begeistert von der Idee, mein chemisches Wissen für die Entwicklung von neuen
und zielgerichtet" vorgehen.
Gelingt es ihnen aber, Blutgefäße zu ak-
fen, die in das folgenschwere Geschehen
Medikamenten einzusetzen. An der Universität Cambridge hatte ich Gelegenheit, mit zwei Medizinal-
quirieren, verwandeln sie sich in das, was eingreifen, weltweiten Auftrieb.
Chemikern von Boehringer Ingelheim zusammenzuarbeiten, die mir viel von ihrer Arbeit erzählt ha-
Ärzte als „bösartig" bezeichnen: Entarte-
Die Neubildung von Blutgefäßen ist
Auf Kosten gesunder Zellen
ben. Daraufhin habe ich mich als Laborleiterin bei BI beworben. Derzeit arbeite ich dort an zwei Pro-
te Zellen wachsen ungehemmt auf Kos-
komplex und viele zelluläre und moleku-
jekten. Beide haben zum Ziel, neue Wirkstoffe gegen psychiatrische Erkrankungen wie Depression
Die Geschichte des neuen Medika-
ten gesunder Zellen, Gewebe und Organe lare Mitspieler sind daran beteiligt. Un-
und Schizophrenie zu finden. Meine Aufgabe ist es, neue chemische Moleküle zu entwerfen,
ments beginnt Mitte der 1990er-Jahre. heran, verlassen den Ort ihres Entstehens terschiedliche Zellspezialisten, etwa Mus-
die verbesserte biologische Eigenschaften zeigen. Diese Moleküle werden dann von meinem
Der Biologe Frank Hilberg vom Boehrin-
und siedeln in anderen Regionen des Kör-
kel- und Bindegewebszellen, müssen sich
Laborteam zum ersten Mal synthetisiert und durchlaufen anschließend viele biologische Tests.
ger Ingelheim Research Center in Wien pers als Tochtergeschwülste.
dazu kontrolliert vermehren, in geordne-
Als Medizinische Chemikerin fasziniert es mich, die biologischen Eigen-
sucht zusammen mit seinem Kollegen,
Die Idee, Tumore daran zu hindern, ter Weise zusammenfinden und zielgerich-
schaften von Molekülen zu beeinflussen, indem ich gezielt ihre chemi-
dem Chemiker Gerald Roth von der die Neubildung von Blutgefäßen zu ver-
tet wachsen. Animiert – und überwacht
sche Struktur verändere.
Chemischen Forschung am Standort von anlassen und Krebsgeschwülste auf diese – werden die Zellen von bestimmten Pro-Boehringer Ingelheim in Biberach, nach Weise gleichsam den Hungertod sterben teinen, sogenannten Wachstumsfaktoren.
Es begeistert mich, Teil eines interdisziplinären Teams von Forschern zu
Substanzen, die in einen verhängnisvol-
zu lassen, geht zurück auf Arbeiten des Sie entfalten ihre Wirkung, indem sie
sein, die mit großem Engagement und viel Kreativität an einem gemeinsa-
len Prozess einzugreifen vermögen, der amerikanischen Forschers Judah Folk-
an Rezeptoren andocken, spezielle Auf-
men Ziel arbeiten. Diese Art der Teamarbeit bedeutet für mich, dass ich nicht
sich Tumor-Angioneogenese nennt. So man. Der Zellbiologe und Mediziner nahmestationen auf der Oberfläche der
nur für den medizinal-chemischen Fortschritt des Projekts verantwortlich bin,
bezeichnen Wissenschaftler die tückische untersuchte in den 1960er-Jahren, wie Zielzellen. Sobald ein Wachstumsfaktor
NACHWUCHSFORSCHERIN IM PORTRÄT
sondern auch die Strategie des gesamten Projekts mitgestalten kann."
Eigenschaft von Tumoren, Blutgefäße an-
Blutgefäße zu Tumoren hinwachsen und an seinen Rezeptor gebunden hat, wird
6 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 7
Nebenwirkungen, „damit war die Sub-
Seit November 2014 ist Nintedanib, Werdegang eines interessant erschei-
stanz für uns erledigt".
der erste dreifache Angiogenese-Hemm-
nenden Moleküls bis zu seiner Markt-
Weitere chemische Veränderungen stoff, in Deutschland zugelassen, um eine einführung von Anfang an in all seinen
führten bereits 120 Substanzen später bestimmte Form von fortgeschrittenem Schritten miterleben zu dürfen, sei in zu einem Molekül mit dem Boehringer Lungenkrebs zu behandeln. Das neue einem Forscherleben eine „seltene und Ingelheim internen Code BIBF 1120. An-
Medikament kommt für Patienten mit wunderbare Erfahrung", meint Frank
ders als seine Vorgänger meisterte es alle einem sogenannten Adenokarzinom in-
Hilberg. Es sei ein bisschen so, „als wür-
nachfolgenden Hürden und erwies sich frage. Der Tumor wird von den Ärzten de man sein Kind über die Jahre hinweg zudem als dreifach wirkstark: BIBF 1120 in der Regel mit einer herkömmlichen bis zur Selbstständigkeit begleiten". – das heutige Nintedanib – hemmt nicht Chemotherapie behandelt, also mit Zell-
Die meisten Wirkstoff-Kandidaten
nur VEGF, sondern zudem zwei weitere giften, die sich gegen alle sich rasch tei-
scheitern auf dem langen und hürdenrei-
Wachstumsfaktoren der Angiogenese, lenden Zellen im Körper richten. Schrei-
chen Weg zum Ziel und erlangen nie den
die die Kürzel PDGF (Platelet Derived tet der Krebs trotz Therapie fort, ist mit Ehrentitel Medikament. Nintedanib ist Growth Factor) und FGF (Fibroblast dem Angiogenese-Hemmer Nintedanib diese Ehre gleich zweifach zuteil gewor-Growth Factor) tragen. Nintedanib ver-
nun ein weiteres Medikament verfügbar. den: Im Januar 2015 wurde es europa-
hindert, dass Wachstumsfaktoren ihre
weit auch zur Behandlung der Lungen-
biologische Wirkung entfalten, indem es Eine wunderbare Erfahrung
fibrose zugelassen. Doch wie kann ein
ihnen gleichsam ihren Platz am jeweiligen
Medikament zwei derart unterschiedli-
Rezeptor streitig macht und die Informa-
Von den ersten Laboruntersuchungen che Krankheiten beeinflussen? Der Dop-
tionsübermittlung vereitelt. Frank Hil-
im Reagenzglas, über weitere Tests mit pelerfolg begründe sich mit der moleku-
berg fasst den Wirkmechanismus in präzi-
Zellkulturen und Geweben, den Unter-
laren Wirkweise von Nintedanib, erklärt
se wissenschaftliche Worte: „Nintedanib suchungen mit Tieren bis hin zu ersten der Pharmakologe Lutz Wollin von der bindet an die sogenannte Kinasedomäne Anwendungen beim Menschen und den Boehringer Ingelheim-Forschungsde-der jeweiligen Rezeptoren im Innern der Studien zur Zulassung des Wirkstoffs als pendance in Biberach. Denn auf mole-Zellen und verhindert so die energieab-
Medikament gegen Lungenkrebs vergin-
kularer Ebene sind Krebs und Fibrose
. Scheible hängige Aktivierung der Rezeptoren und gen 14 Jahre – eine für die Entwicklung weit weniger verschieden als es auf den Foto: W damit die Signalweitergabe."
von Arzneimitteln übliche Zeit. Den ersten Blick den Anschein haben mag.
david Wyatt _ geboren 1978 in Exeter, Vereinigtes Königreich, ist Laborleiter in der Abteilung für Immu-
nologie und Atemwegserkrankungen.
„Als Kind habe ich alte Maschinen und Spielzeug auseinandergenommen, um zu sehen, wie sie funkti-
onieren, oder um defekte Gegenstände zu reparieren. Heute mache ich im Prinzip nichts
anderes: Ich versuche, die Komponenten einer Erkrankung zu erfassen, um anschlie-
ßend Medikamente zu entwickeln. Ich arbeite explorativ an Ideen, die zu Therapien
gegen Lungenfunktionsstörungen führen können. Es geht vor allem darum, Moleküle zu identifizieren, die mit bestimmten Krankheitsprozessen in Verbindung stehen. Mein Team und ich versuchen, diese Moleküle so zu verändern, dass sich das Krank-
heitsbild des Patienten verbessert. Kooperationen mit anderen wissenschaftlichen
Institutionen spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle – man sollte nicht nur inner-
halb der eigenen Mauern denken!
Ich habe das Glück, zusammen mit einem interdisziplinären Team von Wissen-
schaftlern aus der ganzen Welt in einem gemeinsamen Projekt von Boehringer
Ingelheim und BioMedX mitzuwirken. Dabei geht es um epigenetische Einflüs-
se bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), einer fortschreiten-
den Erkrankung der Atemwege, die häufig durchs Rauchen verursacht wird.
NACHWUCHSFORSCHER IM PORTRÄT
Ich bin schon ganz gespannt und hoffe, dass wir zusammen einen Weg
finden, der zu neuen Therapien führt."
Eine Verdünnungsreihe mit Nintedanib wird mit einer Multikanalpipette in eine Mikrotiterplat-te vorgelegt. In diesen Platten werden anschließend enzymatische Tests oder Zellkulturexperi-mente durchgeführt.
8 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 9
gene Substanz, die der Körper benutzt, die Wachstumsfaktoren PDGF, FGF und
Zahlreiche wissenschaftliche Begut-
um Strukturen zu verstärken, Lücken VEGF maßgeblich beteiligt", erklärt Lutz achtungen folgten. Mitte der 2000er-zwischen den Zellen und Wunden zu Wollin. Und hier kommt Nintedanib ins Jahre wurde die Entscheidung getroffen, schließen.
Spiel. Es hemmt die übermäßig aktiven BIBF 1120 nicht allein als Medikament Wachstumsfaktoren und kann das allmäh-
gegen Lungenkrebs, sondern auch zur
liche Vernarben der Lunge hinauszögern. Behandlung der idiopathischen Lungenfi-„Mit Nintedanib gibt es jetzt für schwer brose weiterzuentwickeln. „Mit fünf bis
Bei Menschen, die an einer Lungenfi-
an Lungenfibrose erkrankte Patienten höchstens 24 Fällen unter 100 000 Men-
brose leiden, laufen die natürlichen Pro-
erstmals eine wirksame Therapie, die die schen ist die idiopathische Lungenfibrose
zesse der Wundheilung unkontrolliert ab. jährliche Verschlechterung der Lungen-
eine sehr selten auftretende Erkrankung",
Bei ihnen werden Zellen des Lungenepi-
funktion halbieren kann", sagt Wollin.
erläutert Wollin.
thels wahrscheinlich durch sogenannte
Die Entwicklung von Nintedanib zur
Myofibroblasten ersetzt – sehr produkti-
Arznei gegen Lungenfibrose begann in Eine mutige Entscheidung
ve Zellen, die weit mehr Matrixmaterial den späten 1980er-Jahren. Parallel zu erzeugen als erforderlich ist. Die Funkti-
den Arbeiten von Frank Hilberg in der
Es sei eine „mutige Entscheidung" ge-
on der umgebenden gesunden Epithelzel-
onkologischen Forschung in Wien arbei-
wesen, sich auf dem Feld einer Orphan
len wird dadurch erheblich beeinträch-
teten Birgit Jung und John Park an neuen Disease – einer seltenen Erkrankung – zu
tigt. Mehr und mehr überwuchert zähes Konzepten, um Lungenerkrankungen zu engagieren. So wurde Nintedanib zur ers-Narbengewebe die dünne, gut durchblu-
behandeln, unter anderem auch an An-
ten Substanz von Boehringer Ingelheim
tete Epithelschicht der Lungenbläschen sätzen zur Therapie von Lungenfibrosen mit Orphan Drug-Status und außerdem und lässt eine grobe bienenwabenartige – einem für Boehringer Ingelheim damals wegen der Innovation für die Therapie Struktur entstehen.
neuen Krankheitsbild.
der Lungenfibrose „FDA breakthrough
Die krankhaften Veränderungen ma-
Dazu entwickelten die Wissenschaftler therapy designation" mit beschleunigter
chen die Lunge starr und unelastisch. eigene Lungenfibrose-Modelle und tes-
Ihre lebenswichtige Aufgabe, Sauerstoff teten an ihnen den in der Onkologie in
Zwischenzeitlich ist es aufs Molekül
aufzunehmen und Kohlendioxid abzu-
Wien entdeckten Wirkstoff BIBF 1120. genau zu erklären, wie Nintedanib Zel-
. Scheible geben, kann sie immer weniger erfüllen. „Die Kollegen sahen damals eine heraus- len daran hindert, sich zu vermehren. Das Foto: W „An diesem fortschreitenden Prozess sind
ragende Wirksamkeit", sagt Wollin.
Wirkstoffmolekül – chemisch betrachtet
Andre Broermann _ geboren 1980 in Erwitte, ist Biotechnologe und Laborleiter in der
Abteilung für Kardiometabolische Forschung bei Boehringer Ingelheim.
Lutz Wollin und seine Biologielaborantin Jennifer Schütz in seinem Labor am Standort
Biberach. Auf dem Computerbildschirm zeigt ein Spektralphotometer die Ergebnisse eines
„Während meiner Promotionszeit habe ich primär Grundlagenforschung betrieben. An-
enzymatischen Assays an, der in einer Mikrotiterplatte durchgeführt wurde.
schließend wollte ich in einem Bereich arbeiten, in dem mein Wissen in die Entwick-lung von Produkten fließt, die dem Patienten zugutekommen. Dafür bietet Boehrin-ger Ingelheim optimale Rahmenbedingungen. Unsere Abteilung beschäftigt sich mit
„Die Entstehung der Lungenfibrose", le Organe von einer Fibrose betroffen
Danach schädigen äußere Einflüs-
Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Meine Aufgabe ist es, neue Mechanismen
sagt Lutz Wollin, „zeigt auffällige Ähn-
sein. Ein Beispiel ist die alkoholbedingte se – etwa Zigarettenrauch, Schadstoffe
und Zielproteine zu identifizieren und zu prüfen, ob wir diese mittels Wirkstoffen so
lichkeiten zum Entstehen von Krebs." Leberzirrhose, bei der gesunde, schad-
in der Luft, aber auch Viren, Bakterien
beeinflussen können, dass sie das Krankheitsbild verbessern. In Experimenten tes-
Aus dieser Analogie wurde 2005 von stoffabbauende Leberzellen unter dem oder eingeatmete Magensäure – das Lun-
ten mein Team und ich verschiedene Wirkstoffe, um deren Eigenschaften zu verstehen
den Wissenschaftlern Birgit Jung und ständigen Einfluss des Zellgiftes Alko-
genepithel, eine zarte einschichtige Lage
und zu optimieren. Aktuell arbeiten wir an Wirkstoffen, die hoffentlich schon bald Pa-
John Park, beide aus der Atemwegsfor-
hol nach und nach durch „wertlose" von Zellen, die die Lungenbläschen aus-
tienten mit Nicht-alkoholischer Fettlebererkrankung helfen werden. Da es sich um
schung von Boehringer Ingelheim in Bi-
Bindegewebszellen ersetzt werden. War-
kleidet. Wird das Epithel verletzt, setzen
ein sehr komplexes Krankheitsbild handelt, entwickeln wir ständig neue experi-
berach, die Hypothese aufgestellt, dass um die Bindegewebszellen der Lunge be-
sofort Reparaturmaßnahmen ein: Jene
mentelle Modelle, um die unterschiedlichen Aspekte der Erkrankung abzubilden.
Nintedanib zur Behandlung von idiopa-
ginnen, sich unkontrolliert zu teilen und Wachstumsfaktoren, die auch bei der
Mithilfe dieser Modelle können wir Daten erheben, die es uns ermöglichen, die
thischer Lungenfibrose anwendbar sein zu verbreiten, ist nicht bekannt. Lange Angiogenese eine Rolle spielen, werden
Substanzen mit der besten Wirksamkeit zu identifizieren.
Zeit gingen Wissenschaftler von einem ausgeschüttet und regen Bindegewebs-
Zu einer Fibrose kommt es, wenn entzündlichen Geschehen aus. Heute zellen dazu an, sich zu vermehren, aus-
Ich finde es extrem spannend, die Entwicklung eines Wirkstoffs von der Idee bis
NACHWUCHSFORSCHER IM PORTRÄT
sich Bindegewebszellen, Fibroblasten nehmen sie an, dass überschießende Re-
zubreiten und extrazelluläre Matrix zu
hin zu den ersten Tests im Menschen zu begleiten und lerne praktisch jeden
genannt, übermäßig vermehren und paratur- und Wundheilungsprozesse am produzieren. Dabei handelt es sich um
Tag etwas Neues!"
ausbreiten. Grundsätzlich können al-
Anfang des Leidens stehen.
eine proteinreiche, von Fasern durchzo-
10 bild der wissenschaft plus
Lichtschalter für Nervenzellen
Wenn verschiedene Disziplinen miteinander im Austausch stehen, kann dies zu herausragenden Ergebnissen führen. Die Optogenetik ist genau solch ein Kandidat. Angefangen hat alles mit zwei Mikroorganismen: Biologen entdeckten bei der Grünalge Chlamydomonas Proteine, die auf Licht reagieren. Sobald blaues Licht auf sie trifft, verändern die sogenannten Kanalrhodopsine ihre Durchlässigkeit. Positiv geladene Ionen strömen ins Zellinnere, die Zelle wird aktiviert. Auch ein Bakterium namens Natronomonas pharaonis besitzt solch lichtempfindliche Protein- Kanäle. Allerdings bewirken diese das Gegenteil: Trifft gelbes Licht auf die Zellmembran, strömen negativ geladene Ionen ins Zellinnere. Die Zelle wird deaktiviert. Dank Gentechnik ist es gelungen, die DNA-Abschnitte für diese beiden Protein-Kanäle in Nervenzellen einzubauen. Diese lassen sich daraufhin gezielt über ein Glasfaserkabel mit blauem Licht an- und mit gelbem Licht abschalten. Diese Vorgehensweise ist revolutionär und birgt großes Potenzial für die Medizin: Denn anders als bei der Elektrostimulation, die wahllos alle Neuronen in der Umgebung anregt, lassen sich dank Optogenetik erstmals einzelne Nervenzellen und der Einfluss auf Verhalten untersuchen. Komplexe neuronale Netzwerke können so präzise erforscht und bestimmte Erkrankungen wirksamer bekämpft werden.
Text & Grafik: Daniela Leitner
Die Grünalge Chlamydomonas Auch das Archaebakterium
Die Gene, die die beiden Kanäle
besitzt lichtempfindliche Natronomonas pharaonis besitzt
formen, werden aus den Mikro-
Protein-Kanäle: Trifft blaues Licht lichtempfindliche Protein-Kanäle:
organismen isoliert. Es wird ihnen
auf sie, öffnen sie sich und lassen Trifft gelbes Licht auf sie, pumpen
eine DNA-Sonde angehängt, damit
positiv geladene Natrium- und sie negativ geladene Chloridionen
sie später nur spezielle Nerven-
Kaliumionen ins Zellinnere strömen. ins Zellinnere. Die Zelle wird
zellen ansprechen.
Dadurch wird die Zelle aktiviert. deaktiviert.
Grünalge Archaebakterium
Chlamydomonas Natronomonas
Frank Hilberg bewertet die Ergebnisse eines molekularbiologischen Verfahrens
(Western Blot) zur Untersuchung der Hemmwirkung von Nintedanib.
ein Salz der Ethansulfonsäure – besetzt Körper rund 200 verschiedene Typen. Sie Chemikern von Boehringer Ingelheim so die Rezeptoren für Wachstumsfaktoren arbeiten alle nach dem gleichen Prinzip: optimiert worden, dass es exakt in die
Mit einem Glasfaserkabel wird Licht
stets an einem bestimmten, entscheidend Wo immer Rezeptortyrosinkinasen im ATP-Bindungstasche der Tyrosinkina-
wichtigen Ort im Innern der Zellen: Nin-
Spiel sind, werden Signale weitergeleitet, se passt, sodass ATP darin keinen Platz
ins Mäusehirn gesendet. Die beiden Protein-Kanäle reagieren danach,
Die veränderten Gene werden in
tedanib gelangt durch die Membran in verstärkt und Signalkaskaden bis hin mehr findet. Doch das allein reicht noch
je nach Wellenlänge des Lichts,
ein harmloses Virus eingebaut
das Innere der Zelle und trifft dort an zum Zellkern in Gang gesetzt, worauf nicht aus. „Die Kunst besteht darin",
und in ein Mäusegehirn injiziert.
der Innenseite der Wachstumsfaktoren, sich das Verhalten der Zelle verändert. erläutert Wollin, „dass der Wirkstoff ge-
Die angesprochenen Nervenzellen
die die Membran durchspannen, auf ein Rezeptortyrosinkinasen, die aufgrund nau die wenigen Kinasen hemmt, die für
entwickeln daraufhin die licht-
Protein, das als Enzym arbeitet und die molekularer Veränderungen aus ihrem die Erkrankung relevant sind – genau das
empfindlichen Protein-Kanäle auf
wichtige Aufgabe hat, Phosphatgruppen fein ausbalancierten Arbeitstakt gera-
ist uns gelungen." Ohne die gültige Ener-
ihrer Oberfläche.
an andere Proteine weiterzureichen. Die ten, können Zellen dazu veranlassen, giewährung können die Tyrosinkinasen Phosphatgruppen entstammen Adenosin-
sich übermäßig zu teilen, ihren Platz zu ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Auf-
triphosphat (ATP), der allgegenwärtigen verlassen, im Körper zu wandern und grund dieses Wirkmechanismus, so hof-
Energiewährung der Zellen.
„Todesbefehle", die der Zelle aufgrund fen die Forscher, lässt sich Nintedanib
lichtempfindliche Nervenzelle
schwerer genetischer Fehler erteilt wer-
vielleicht noch breiter einsetzen, etwa
mit Kanalrhodopsin-Kanal
Nervenzelle für Nervenzelle lässt sich dadurch
Zellen verändern ihr Verhalten
den, zu ignorieren – oder Botenstoffe gegen weitere Krebserkrankungen wie
gezielt an- oder ausschalten. Die Forscher
auszuschütten, die Blutgefäße anlocken Darm-, Nieren-, Eierstock- oder Leber-
Bei blauem Licht öffnen
beobachten dabei das Verhalten der Mäuse und
sich die Kanalrhodopsin-
Von solchen energieübertragenden und natürliche Wundheilungsprozesse krebs und andere, häufigere Formen der
können so Neuronen identifizieren, die eine
Kanäle. Die Nervenzelle
Rolle bei bestimmten Krankheiten spielen,
Enzymen – die Biochemiker sprechen aus dem Ruder laufen zu lassen. Ninte-
Fibrose. „Wir arbeiten mit Hochdruck
sendet nun vermehrt
Gelbes Licht aktiviert die
beispielsweise Parkinson oder Epilepsie.
von Rezeptortyrosinkinasen – gibt es im danib, das kleine Molekül, ist von den daran", sagt Lutz Wollin.
afik: Daniela Leitner
Nervenimpulse aus.
Zukünftig könnten dadurch wirksamere und
lichtempfindliche Nervenzelle
Die Nervenzelle sendet nun
schonendere Therapien und Medikamente
12 bild der wissenschaft plus
keine Nervenimpulse mehr aus.
bild der wissenschaft plus
„Die menschliche
Komponente ist wichtig
für den Erfolg"
Welche Perspektiven Boehringer Ingelheim hat, erläutert Andreas Barner, der Sprecher der Unternehmensleitung.
Das Gespräch führten Wolfgang Hess und Claudia Christine Wolf
Was sind aktuelle Ansprüche an die
An der idiopathischen lungenfibrose
Was fordert den Unternehmens-chef
Pharmaindustrie, Herr Barner?
leiden nur wenige Menschen. der
Andreas Barner am stärksten?
Ganz wichtig ist es, Medikamente zu fin-
Pharmamarkt und die damit verbunde-
Das sind immer wieder Situationen, bei
den, die sich an den medizinischen Not-
ne Einnahmequelle sind überschaubar.
denen man spät in der Medikamenten-
wendigkeiten orientieren. Beispiel Aids: Warum wurde ihr Unternehmen aktiv?
entwicklung auf Schwierigkeiten stößt,
Die pharmazeutische Industrie konnte Zwei Mitarbeiter machten uns darauf die man nicht erwartet hatte – etwa bei die HIV-Problematik so entschärfen, dass aufmerksam, dass Nintedanib in einem der Stabilität eines Wirkstoffs. Für mich diese zunächst meist rasch tödlich verlau-
präklinischen Modell der Lungenfib-
am wichtigsten zu lernen war es aber, dass
ist Vorsitzender der Unternehmensleitung von
fende Infektion inzwischen mehr zu ei-
rose gute Wirksamkeit zeigt. Es gehört man trotz vieler Daten immer wieder in-
Boehringer Ingelheim. Barner (*1953) studierte
ner häufig chronischen, wenn auch nach zu unserer Verantwortung, Krankheiten tuitiv entscheiden muss. Da denke ich bei-
Medizin an der Universität Freiburg und Ma-
wie vor sehr ernsten Erkrankung umge-
zu lindern, auch wenn wir dabei nicht spielsweise an das Medikament Pradaxa
thematik an der Eidgenössischen Technischen
wandelt werden konnte. Oder denken viel verdienen. Ein gutes Beispiel dafür zur Vermeidung von Schlaganfällen bei
Hochschule Zürich und schloss beide Studien-
Sie daran, wie sich die Herz-Kreislauf-
ist auch die Substanz Nevirapine gegen Patienten mit Vorhofflimmern. Wir ha-
gänge mit Promotion ab. Seine Karriere in der
Sterblichkeit dank der Cholesterinsenker HIV/Aids. Wir entschieden uns für die ben uns für eine Studie an 16 000 Patien-
Pharmaindustrie begann bei der Ciba-Geigy
verringert hat. Gegenwärtig erleben wir Weiterentwicklung – obwohl wir ur-
ten entschieden – wohl wissend, dass das
AG in Basel. 1992 wechselte er zu Boehringer
eine ähnliche Situation in der Onkolo-
sprünglich vermutet hatten, so wenig Risiko zu scheitern da war. Eine solche
Ingelheim, wo er die Leitung des Bereichs
gie, der Krebsforschung. Dort nähern Umsatz zu machen, dass wir nicht ein-
Entscheidung zu treffen, ist eine gewaltige
Medizin übernahm. Seit 1999 ist er Mitglied
wir uns in vielen kleinen Schritten den mal unsere Registrierungs-, geschweige Herausforderung.
der Unternehmensleitung und für die Bereiche
Herausforderungen. Beispielsweise wird denn Entwicklungskosten decken wür-
Pharmaforschung, Entwicklung und Medizin
mit unserem Wirkstoff Nintedanib die den. Das hat sich letztlich dann doch Bei Pradaxa gab es aufgrund un-
zuständig. 2009 übernahm er darüber hinaus
Blutversorgung von Krebsgeschwülsten anders entwickelt. Der Punkt zeigt, dass erwünschter nebenwirkungen in
die Rolle des Sprechers der Unternehmenslei-
unterdrückt. Gerade wurde Nintedanib wir aus prinzipiellen Überlegungen auch den USA an die 4000 Klagen gegen
tung. Barner ist Präsident des Stifterverbandes
auch als Wirkstoff gegen die idiopathi-
Entscheidungen treffen, bei denen die Boehringer ingelheim.
für die Deutsche Wissenschaft, Mitglied des
sche Lungenfibrose zugelassen. Hier ha-
wirtschaftlichen Interessen von sekun-
Das Medikament hatte von Anfang an
Senats der Max-Planck-Gesellschaft und der
ben wir bisher eine Sterblichkeitsrate von därer Bedeutung sind.
substanzielle Vorteile gegenüber her-
Helmholtz-Gemeinschaft sowie Präsidiums-
50 Prozent innerhalb der ersten drei Jah-
kömmlichen Vitamin-K-Antagonisten.
mitglied des Bundesverbandes der Deutschen
re nach Diagnose-Stellung. Oder denken Wie oft treffen Sie
Natürlich trifft es einen, wenn jemand
Industrie und der Chemischen Industrie. Außer-
Sie an Diabetes und insbesondere an den solche Entscheidungen im Jahr?
ganz unabhängig von der wissenschaft-
dem ist er Mitglied im Präsidium des Deutschen
SGLT2-Hemmer Empagliflozin, die erste Ob und wie wir ein Medikament auf-
lichen Datenlage über einen Schadenser-
Evangelischen Kirchentags und seit Anfang
antidiabetische Substanz, die sowohl die grund der Datenlage weiterentwickeln satzprozess nach amerikanischem Recht
2015 Mitvorsitzender des High-Tech Forums,
egner Gesamtsterblichkeit wie auch die kardio- wollen, prüfen wir ständig. Ob wir in eine versucht, finanzielle Vorteile zu erstrei-
des innovationspolitischen Beratungsgremiums
vaskuläre Sterblichkeit bei Patienten mit Indikation gehen, die sich kaum rechnen ten. Und natürlich haben wir uns mit
für die deutsche High-Tech Strategie 2020.
otos: T Diabetes und kardialen Vorerkrankun-
wird, darüber entscheiden wir vielleicht den vorgebrachten Argumenten in dem
Alle F gen senken konnte.
drei, vier Mal pro Jahr.
Gerichtsverfahren auseinandergesetzt. Im
14 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 15
intErViEW
Ergebnis hat sich keines dieser Argumen-
Welche Forschungsansätze
traditionell stark die Grundlagenfor-
te als stichhaltig erwiesen, weshalb wir sind es, durch die Sie sich neue
schung, und es ist wichtig, diesen guten
den Klagen in der Sache sehr zuversicht-
Ruf in der akademischen Welt zu erhal-
lich gegenüberstanden. Mittlerweile hat Bei Boehringer Ingelheim haben wir tra-
ten. Man weiß dort, auf Boehringer Ingel-
erfreulicherweise eine Studie der US-Ge-
ditionell enge Kooperationen mit exter-
heim kann man sich verlassen!
sundheitsbehörde FDA, an der 130 000 ner Forschung: Obwohl bei uns mehr als
Patienten beteiligt waren, unsere Ergeb-
8000 Menschen in Forschung und Ent-
Wie erklären Sie es sich dann, dass es
nisse bestätigt: Die Zahl der Schlagan-
wicklung arbeiten – und dies sehr erfolg-
um das öffentliche image der Pharma-
fälle und das Todesfallrisiko kann durch reich tun –, sind wir auf Ideen von außen industrie nicht gut bestellt ist?
Pradaxa im Vergleich zu den herkömm-
angewiesen und wollen mit Externen, die Ich bin der festen Meinung, dass der Ruf
„Ganz wichtig ist es,
lichen Wirkstoffen wirklich substanziell gute Ideen und Ansätze haben, ins Ge-
der pharmazeutischen Industrie schlech-
reduziert werden. Im Übrigen sind inzwi-
spräch kommen. Das war vor 20, 30 Jah-
ter ist als sie es verdient. Ich bekomme
mit externen
schen praktisch alle Klagen durch einen ren im aktuellen Umfang nicht der Fall.
so viele Briefe von Patientinnen und Pa-
umfassenden Vergleich vom Tisch. Die
tienten, die sich bei uns bedanken. Das
Wissenschaftlern
Alternative dazu wäre gewesen, jede ein-
Wie finden Sie die externen Wissen-
ist ausgesprochen befriedigend und freut
zelne der Klagen juristisch bis zum Ende schaftler, die ihrem Unternehmen
mich sehr. Dass wir mit unseren Wirkstof-
durchzufechten. Das hätte unser Unter-
fen Geld verdienen möchten, liegt auf der
nehmen auf Jahre hinaus stark beschäf-
Ganz wichtig ist das wissenschaftliche Hand. Ich habe noch kein Pharmasystem
Interesse der Boehringer Ingelheim-For-
gesehen, das besser funktioniert als pri-
scher, mit bestimmten externen Wissen-
vat finanzierte Initiativen und die damit
Was in der Pharmaforschung ist heute
schaftlern zusammenarbeiten zu wollen. verbundene Risikobereitschaft. Nur zur
anders als vor zwei Jahrzehnten?
Neben Themenfeld und Kompetenz ist Erinnerung: Im gesamten ehemaligen
Wir versuchen, mit möglichst wenigen Entwicklung des Unternehmens arbeiten ansätze entwickeln können, die es zum
Einmal sind die einfacheren Forschungs-
auch die menschliche Komponente für Ostblock wurde kein einziges neues Me-
Tieren auszukommen. Ich würde es aber können und in der Lage waren, für Pa-
Beispiel ermöglichen, den Herzmuskel
fragen gelöst. Zweitens ist insbesondere den Erfolg einer solchen Zusammenarbeit dikament entwickelt. Was das Image an-
nicht verantworten können, eine medi-
tienten wichtige Medikamente bereitzu-
nach einem Infarkt zu regenerieren.
die Zahl der Patienten, die in das Regis-
sehr wichtig. Wenn wir eine Vereinbarung geht, muss man im Übrigen differenzie-
kamentöse Krebsbehandlung oder ein stellen …
trierungsprogramm einzuschließen sind, unterzeichnen, dann im Bewusstsein, die ren. Für Deutschland trifft Ihre Aussage
Atemwegspräparat direkt am Menschen
in den zurückliegenden Jahren stieg
substanziell gestiegen. Drittens konnte Kooperation längerfristig aufrechtzuer-
wohl zu – für England, die USA und viele
zu erproben. Gleichzeitig ergreifen wir … vorausgesetzt, die Familien wollen
unsere lebenserwartung deutlich.
die pharmazeutische Industrie damals halten. Überdies unterstützen wir gut 150 weitere Länder aber nicht. Dort hat die
viele Maßnahmen, um Versuchstiere das tafelsilber nicht verscherbeln.
Kennen Sie Untersuchungen, wie viel
vier, fünf, sechs Medikamente einer Doktoranden durch den Boehringer Ingel-
Bevölkerung erkannt, welchen enormen
möglichst artgerecht zu halten.
Da herrscht bei Boehringer natürlich ein davon auf den erfolgreichen Einsatz von
Klasse erfolgreich auf den Markt brin-
heim Fonds – eine Stiftung. Auch dadurch Anteil moderne Medikamente und die
ideales Umfeld. Die Eigentümerfamilien Pharmawirkstoffen zurückzuführen ist?
gen. Inzwischen sind die Aufwendungen ergeben sich weltweit viele Anknüpfungs-
dahinter stehende Industrie an der Ge-
die Perspektive, auf tierversuche
haben ein klares Interesse, das Unter-
Nach Schätzungen gewinnen wir derzeit
für Forschung und Entwicklung sowie punkte für neue Zusammenarbeit.
sundheit haben. In Deutschland erlauben
völlig zu verzichten, sehen Sie nicht?
nehmen zu erhalten – und das schon in pro Jahr zwei bis drei Monate an Lebens-
der Preisdruck auf das Medikament so
wir uns den Luxus zu sagen: Ein Medika-
Wir machen inzwischen viel auf der Basis der vierten Generation. Und es ist ihnen erwartung hinzu. Es gibt Experten, die
gestiegen, dass höchstens noch drei Me-
Und diese frisch gebackenen doktoren
ment, das mir hilft, ist gut, aber die phar-
von Zellen. Doch der lebende Gesamtor-
wichtig, das Unternehmen – möglichst sagen, dass die Hälfte bis zwei Drittel
dikamente einer Klasse wirtschaftlich er-
stellen Sie dann bevorzugt ein?
mazeutische Industrie, die das herstellt,
ganismus ist durch nichts ersetzbar. Auch noch gestärkt – in die Hände der fünften davon auf die Ergebnisse der pharma-
folgreich sind.
Nein, Boehringer Ingelheim unterstützt ist schlecht. Hierzulande möchte man die
die behördlichen Auflagen zu Verträglich-
Generation zu übergeben.
zeutischen Industrie zurückgehen. Mit
besten Arzneimittel zu den tiefsten Prei-
keitsuntersuchungen erfordern die Unter-
anderen Worten: Wenn bei uns die Le-
sen in Europa. Aber anders als in den USA
suchung am Gesamtorganismus.
Boehringer ist als Arbeitgeber sehr
benserwartung seit 1950 grob gerech-
sind viele Politiker hier nicht bereit, die
attraktiv. ihre Begründung?
net um 15 Jahre gestiegen ist, wäre die
Pharmaforschung zu unterstützen.
Welchen Vorteil zieht Boehringer
Ich glaube, dass die Leute bei uns gerne pharmazeutische Industrie daran mit sie-
ingelheim aus der Struktur
arbeiten, weil ihre Tätigkeit eine unglaub-
beneinhalb Jahren oder sogar noch mehr
Wird die Pharmaindustrie also mittel-
liche Wirkung erzielt. In ganz wenigen beteiligt.
fristig aus deutschland abwandern?
Die klare Zielsetzung, über Forschung Unternehmen können Sie so viel Positives
Die Gefahr ist immer, dass die Industrie
erfolgreich zu sein, ist für mich ganz für Menschen tun.
dennoch dürfte die lebenserwartung
dort verschwindet, wo der Markt nicht
wesentlich – verbunden mit der Zielset-
künftig bei uns nicht mehr so zuneh-
mehr funktioniert. Doch das sind sehr
zung, aus eigener Kraft zu wachsen. Das Wie sieht die Pharmabranche
men, wie in den vergangenen Jahren.
langfristige Prozesse. Erfreulich ist, wie
haben wir in den vergangenen Jahren gut in zehn Jahren aus?
Warten wir dies einmal ab! Ich baue da-
viele Biotech-Unternehmen es inzwi-
geschafft. Als ich 1992 bei Boehringer Wir alle hoffen, dass die individualisier-
rauf, dass Patienten künftig noch länger
schen in Deutschland gibt und dass ei-
Ingelheim angefangen habe, entsprach te Medizin dann einen Schritt weiterge-
leben, weil sie gute Medikamente haben
nige sehr erfolgreich sind. Ich bin immer
unser Umsatz etwa zwei Dritteln vom kommen ist. In der Onkologie ist der und gezielter auf Prävention geachtet
„Ich habe noch kein Pharma-
noch optimistisch, dass sich die Antihal-
Mitbewerber Schering und etwa der Blick auf individuell ausgeprägte Tumo-
wird. Weiterhin arbeitet die Forschung
system gesehen, das besser
tung vieler Deutscher zur Pharmaindus-
Hälfte von Bayer. Heute sind wir so groß re schon Gegenstand der Forschung. Was an Gewebs-Regenerationen mit dem
funktioniert als privat finan-
trie verändert.
wie Bayer und Schering zusammen. Dass ich mir zudem erhoffe, dass wir auch bei Ziel, die Lebensqualität bei schwer er-
zierte Initiativen." Andreas
wir das geschafft haben, liegt zu einem Erkrankungen, bei denen wir bisher nur krankten Patienten deutlich zu steigern.
Barner im Gespräch mit bdw-
Welche Sichtweise haben Sie beim
guten Teil auch daran, dass wir als Fa-
symptomatisch vorgehen können, wie Dafür lohnt es sich zu auch, viel zu ar-
Redakteur Wolfgang Hess.
milienunternehmen konsequent an der etwa Bluthochdruck, kausale Therapie-
16 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 17
iMMUntHErAP iE
Neue Wege
Aller Anfang ist schwer. Ein Jahr
lang kochte Friedrich Miescher in der ehemaligen Küche des Tü-
binger Schlosses eitrige Wundverbände aus und experimentierte mit Laugen und Säuren, bis es ihm gelang, aus den Kernen
im Kampf gegen
der Eiterzellen ein weißliches Material zu isolieren. Er nannte es „Nuklein" – nach seiner Herkunft, dem Zellkern, der im Fachjargon Nukleus heißt. Das war im Jahr 1869, und was der junge Mediziner
damals unwissentlich entdeckt hatte, war die Nukleinsäure, der Stoff, aus dem die Gene sind.
Nahezu 150 Jahre später arbeiten
andere junge Wissenschaftler in den La-
Neue immuntherapeutische Ansätze zählen derzeit zu
borräumen des biopharmazeutischen Un-
den größten Hoffnungsträgern der Krebsmedizin.
ternehmens „CureVac" im Technologie-park vor den Toren Tübingens an einer neuen Therapie gegen Krebs. Sie nutzen
von Claudia Eberhard-Metzger
dazu das Lebensmolekül, das Friedrich Miescher einst in der Schlossküche fand – einem der weltweit ersten biochemi-schen Laboratorien. „Unser Ziel ist es, ein Medikament zu entwickeln, das dem Immunsystem dabei hilft, Krebszellen zu erkennen und zu zerstören", erklärt Ing-mar Hoerr, Biologe und Geschäftsführer von CureVac.
Die Tübinger Forscher nutzen für ihre
neuartige Therapie eine besondere Nuk-leinsäure, die Boten-Ribonukleinsäure, kurz mRNA (englisch: messenger RNA), ein Schwestermolekül des berühmten Erbmoleküls DNA. Sie dient der Zelle als Bote, der Abschriften der Gene zu den Ri-bosomen bringt, Proteinfertigungsstätten im Zellsaft. In den Ribosomen werden die lebenswichtigen Proteine nach den Kon-struktionsplänen der Gene aus kleineren Bausteinen, den Aminosäuren, zusam-mengesetzt.
Weil die Boten-Ribonukleinsäuren von
der Zelle rasch abgebaut werden, nach-dem sie ihre Dienste als Übermittler er-füllt haben, galten sie lange Zeit als wenig geeignet für therapeutische Anwendun-gen. Den Wissenschaftlern von CureVac ist es jedoch gelungen, die Lebenszeit der
Boten-Moleküle zu verlängern und sie so zu präparieren, dass sie für eine zu-kunftsweisende, gegen Krebs gerichtete
Das Pipettieren an der Sterilbank
Behandlungsform eingesetzt werden kön-
erfordert Geduld und Präzision.
Foto: A. Körner/Cur
nen: die Immuntherapie.
18 bild der wissenschaft plus
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„Immuntherapie" meint den Versuch, tigkeit dieses Zeichens ist unerlässlich – haltbarer und so für therapeutische An-
die körpereigene Abwehr, das Immunsys-
genau daran aber lassen es Tumorzellen wendungen nutzbar zu machen. Dazu
tem, so zu aktivieren, dass es Krebszellen missen. Aufgrund ihres unkontrollierten bestücken die CureVac-Forscher das Bo-anhand subtiler Zeichen erkennt, seine Teilungsverhaltens sind sie für den Or-
tenmolekül mit Informationen für Tumor-
Zurückhaltung ihnen gegenüber aufgibt ganismus eine lebensbedrohliche Gefahr antigene. „Auf der mRNA werden – ähn-und sie ebenso kompromisslos angreift – nichtsdestotrotz handelt es sich um lich wie bei einer Software – bestimmte
Bei CureVac arbeiten Wissenschaftler daran,
wie körperfremde Eindringlinge. Mit körpereigene Zellen. Und das oberste Ge-
Informationen gespeichert", veranschau-
die optimale mRNA für den gewünschten
dem Immunsystem, glauben viele For-
bot, das Immunzellen zwingend einhalten licht Ingmar Hoerr. „Der Körper – also
medizinischen Zweck zu erhalten. Die Arbeit
scher, kann dem Krebs der wohl einzige müssen, lautet, Körpereigenes niemals die Hardware – liest diese Informationen
am Mikroskop ist bis heute einer der Arbeits-
Gegner gegenübergestellt werden, der der anzugreifen. Eine Immunzelle, die sich ab, und das körpereigene Immunsystem
schritte, die maßgeblich für den Erfolg der
komplexen Erkrankung an Plastizität und nicht daran hält, wird gnadenlos aussor-
reagiert darauf mit den ihm zur Verfü-
Forschung und Entwicklung sind.
Foto: A. Körner/Cur
Flexibilität ebenbürtig ist.
tiert. Geschieht das nicht, kommt es zu gung stehenden Abwehrstrategien."
Anstrengungen, das Immunsystem in schweren Erkrankungen, den sogenann-
Das mit dem Bauplan für Tumoran-
den Kampf gegen Krebs einzubeziehen, ten Autoimmunkrankheiten.
tigene aufgerüstete Boten-Molekül wird
eliminieren. Soweit die Idealvorstellung sie versprechen, eines Tages therapeutisch jekte pro Jahr werden von Boehringer
gibt es schon lange. Doch die Erfahrun-
Dennoch verraten sich Tumorzellen – den Patienten in die Haut injiziert und
dessen, was die mRNA-basierte Immun-
nutzbar und zu neuen Medikamenten zu Ingelheim längerfristig finanziell geför-
gen waren ernüchternd. Mittlerweile hat allerdings mit subtilen Zeichen. Wie die von Körperzellen aufgenommen. Die
therapie leisten soll. Ob das gelingt, muss werden. Dazu geht das Pharmaunterneh-
dert. „Von insgesamt zehn Unternehmun-
sich das Blatt gewendet: Immuntherapien Krebsforscher heute wissen, erfährt eine zelleigene Proteinfabrikation beginnt da-
die Zukunft zeigen. Zurzeit absolviert das men außerhalb seiner bereits bestehen-
gen, die wir fördern, sollten ein bis zwei
gelten als die größten Hoffnungsträger gesunde Zelle auf dem Weg zu einer sich raufhin, die Konstruktionspläne abzule-
neue Verfahren erste Prüfungen in der den Therapiegebiete Kooperationen mit schlussendlich ein großer Erfolg werden",
der Krebsmedizin. Die Zeitschrift „Sci-
krankhaft teilenden Krebszelle viele ge-
sen und Tumorantigene herzustellen. An-
Klinik. „Bislang wissen wir, dass unser externen Forschergruppen ein. „Wir in-
erläutert Kalkbrenner. Die Übrigen – das
ence" feierte sie als „Breakthrough of the netische Veränderungen (Mutationen). schließend stellt die Zelle ihre Produkte
Impfstoff gut verträglich ist und dass wir vestieren mit diesen Kooperationen in die zeige die Erfahrung – verliefen erfolglos
Year" – als Durchbruch des Jahres –, und Infolgedessen produziert sie veränderte auf ihrer Oberfläche, der Zellmembran,
mit seiner Hilfe bei den meisten Patienten Zukunft", sagt Frank Kalkbrenner.
im Sand. Von der Immuntherapie erwar-
Nobelpreisträger wie Harald zur Hausen, Proteine, die auf der Oberfläche der mu-
zur Schau und macht Zellen der körper-
eine ausgeglichene Immunantwort auslö-
tet Kalkbrenner einen großen Erfolg:
vormals Chef des Deutschen Krebsfor-
tierten Zellen auftauchen. Die Wissen-
eigenen Abwehr auf die Tumorantigene
sen können, an der sowohl T-Killerzellen Aus 200 Projekten werden 3
„Das ist ein sehr spannendes Feld in der
schungszentrums in Heidelberg, bewer-
schaftler sprechen von Tumorantigenen aufmerksam. Der Körper produziert den
als auch T-Helfer- und Gedächtniszellen
onkologischen Forschung – da tut sich
ten die Immuntherapie als „Ansatz, der oder Tumormarkern. Hunderte solcher Impfstoff, auf den seine Abwehrtruppen
sowie B-Lymphoyzten beteiligt sind", er-
Derzeit sind es 15 Projekte, die etwas!"
uns in die Zukunft führt". Auch Boehrin-
verdächtigen molekularen Flaggen sind reagieren sollen, also selbst.
klärt Ingmar Hoerr von CureVac.
Boehringer Ingelheim gemeinsam mit ex-
Ein großes Potenzial sieht er vor al-
ger Ingelheim setzt auf die Immunthe-
den Wissenschaftlern mittlerweile be-
Die Zusammenarbeit mit CureVac ternen Partnern verfolgt – sieben davon lem in der Kombination herkömmlicher
rapie gegen Krebs. Ein Beispiel für das kannt. Lungenkrebszellen etwa verra-
Gefährlich für tumorzellen
wurde durch den „Boehringer Ingelheim gelten dem Themenfeld Immuntherapie mit neuen Behandlungsansätzen gegen
Engagement der Pharmafirma auf dem ten sich häufig mit Tumorantigenen, die
Venture Fund" gestartet und ist inzwi-
gegen Krebs. Dass selbst auf den ersten Krebs. Immuntherapeutische Ansätze
Forschungsfeld ist die Kooperation mit „MAGE", „NY", „ESO", „5T4" oder
Fast alle Körperzellen sind imstande,
schen ein fortgeschrittenes Entwicklungs-
Blick noch so vielversprechende For-
wie die Impfung mittels Boten-Ribonu-
dem Tübinger Unternehmen CureVac.
Antigene zu präsentieren – die Profis aber
projekt, das in der Klinik angekommen schungsansätze auf dem langen und hür-
kleinsäure oder der Einsatz der zurzeit
Das Einzige, was das Immunsystem
Dem Lungenkrebs, einer der weltweit sind die Antigen präsentierenden Zellen
und von Boehringer Ingelheim bislang denreichen Weg zum Medikament schei-
vielversprechenden „Checkpoint Inhibi-
braucht, um aktiv zu werden, ist ein häufigsten Krebsarten, gilt die besondere (APC) des Immunsystems. Dazu zählen
mit 150 Millionen Euro unterstützt wor-
tern, sei eher die Regel als die Ausnahme, toren", die imstande sind, Bremsen des
„Antigen" – ein Molekül aus der Klas-
Aufmerksamkeit der CureVac-Forscher. die dendritischen Zellen, die Monozyten,
betont Kalkbrenner. „Das ist unser Risiko Immunsystems zu lösen, könnten zu-
se der Proteine, das unmissverständlich Gemeinsam mit Boehringer Ingelheim Makrophagen und die B-Lymphozyten.
Das ist ein typisches Beispiel für die Ar-
– aber anders geht es nicht." Von rund sammen mit bereits verfügbaren zielge-
anzeigt: Hier ist etwas im Körper, das entwickeln die Tübinger Wissenschaftler Was die Profis gegenüber den Laien aus-
beit von Frank Kalkbrenner. Der Medizi-
200 Projekten, die Kalkbrenner und sein richtet ansetzenden Medikamenten und
ihm gefährlich werden kann. Die Eindeu-
in einem klinischen Entwicklungsprojekt zeichnet, sind ihre Beziehungen zu wei-
ner leitet den „Boehringer Ingelheim Ven-
Team alljährlich aus der wissenschaftli-
verbesserten konventionellen Verfahren
seit dem Jahr 2014 ihren Lungenkrebs-
teren einflussreichen Immunzellen, den
ture Fund", kurz BIVF. Gemeinsam mit chen Welt der Publikationen, Meetings Krebs womöglich schon bald von einer
wirkstoff „BI1361849" zu einem the-
T-Lymphozyten. Zu ihnen zählen die
seinen Mitarbeitern sucht er überall auf und Kongresse herausfiltern, kommen 50 lebensbedrohlichen zu einer chronischen
rapeutischen Impfstoff, einer Vakzine, T-Killerzellen – sie können Tumorzellen
der Welt nach völlig neuen Forschungsan-
bis 60 in die nähere Wahl, 20 von ihnen Erkrankung werden lassen. Die Patienten
gegen das nicht-kleinzellige Lungenkar-
unmittelbar am gefährlichsten werden.
sätzen, die es lohnt zu unterstützen, weil werden vertieft angegangen – drei Pro-
werden es den Forschern danken.
zinom weiter. „Mit diesem innovativen Zudem sind nur die Antigen präsentie-Ansatz wollen wir unser Portfolio im renden Zellen des Immunsystems in der Bereich Lungenkrebs stärken, welches Lage, T-Zellen zu weiteren Aktionen zu aus zwei zugelassenen Substanzen (Gio-
motivieren. Dazu wandern die Antigen
trif und Vargatef) besteht, die beide für präsentierenden Zellen in den nächstge-
_ impressum
bestimmte Patientengruppen in Studien legenen Lymphknoten und zeigen den lebensverlängernde Daten gezeigt haben. dort anwesenden T-Zellen ihr „Ausstel-
Aufbruch zu neuen Horizonten
cHEFrEdAKtEUr: Wolfgang Hess
VErtriEB: Kosta Poulios
BI1361849 ist eine von mehreren neu-
lungsstück". Sobald eine T-Zelle das
Eine Sonderpublikation von bild der wissenschaft in
ProJEKtlEitUnG: Claudia Christine Wolf
drUcK: Konradin Druck GmbH
en Substanzen in klinischer Forschung präsentierte Antigen wahrgenommen
Zusammenarbeit mit Boehringer Ingelheim
Kohlhammerstr. 1–15, 70771 Leinfelden-Echterdingen
im Bereich Lungenkrebs von Boehringer hat, kommt es zu einem vielfältigen Si-
Claudia Eberhard-Metzger, Stefanie Reinberger,
ErScHEinUnGStErMin: 12 . 2015
Weitere Exemplare können Sie
Ingelheim", erklärt Jörg Barth, der bei gnalaustausch. Infolgedessen wird die
HErAUSGEBErin: Katja Kohlhammer
GrAFiScHE GEStAltUnG: commbox8.de
kostenlos anfordern bei:
Foto: M. Storz/Gr
Boehringer Ingelheim den Bereich Onko-
gesamte Streitmacht des Immunsystems
VErlAG: Konradin Medien GmbH
Leserservice bild der wissenschaft
logie leitet. Die Innovation der Wissen-
alarmiert und rückt aus, um überall im
Ernst-Mey-Straße 8,
rEdAKtion BoEHrinGEr inGElHEiM:
Tel. 01805-260155
Unter UV-Licht wird menschliche
schaftler aus Tübingen ist, die von Natur Körper nach Zellen zu suchen, die das
Dr. Reinhard Malin
Erbinformation sichtbar gemacht.
aus kurzlebige Boten-Ribonukleinsäure verräterische Antigen tragen und sie zu
20 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 21
ich als ungeheuer befriedigend." Heute aus dem Gleichgewicht geraten sind, war fühlt sich Corsico für beide Akteure sei-
Ende der 1950er-Jahre bis Anfang der
Im Büro von Christopher Corsico
steht eine Streichholzschachtel. Dar-in befindet sich ein ganz besonderes ner Streichholzschachtelszenerie verant-
1960er-Jahre der Arzneimittelskandal
Krankenzimmer, ein Tierarzt behandelt wortlich: den Arzt und den Patienten.
um das Beruhigungsmittel Thalidomid,
Der Mann für
einen Elefanten. Der US-Amerikaner sieht
Ein Stück weit wurde dieser Weg besser bekannt unter dem Markennamen
in Veterinär und Dickhäuter vor allem wohl vorgezeichnet. Der Großvater war Contergan. Das Medikament galt als be-eins: Einen Mediziner, der sich mit aller Pharmazeut mit eigener Apotheke. Spä-
sonders sicher. Es wurde als Schlaf- und
Hingabe und Sorgfalt einem Kranken ter überwachte er im Auftrag des US-
Beruhigungsmittel für Schwangere emp-
und dessen Genesung widmet. Genauso Bundesstaats New York die Abgabe von fohlen und sollte auch gegen die typische
Sicherheit
sah Corsico als junger Mann seine eigene Substanzen, die unter das Betäubungsmit-
Morgenübelkeit helfen. Die Folgen waren
Zukunft. Er studierte Medizin und prak-
telgesetz fallen – auch das eine Aufgabe dramatisch: Weltweit wurden aufgrund
tizierte einige Jahre als Arzt. Doch bald im Dienste der Arzneimittelsicherheit. der Einnahme mehr als 10 000 Kinder stellte er fest, dass ihm das nicht reichte. Der Großvater war es auch, der in Corsi-
mit massiven Fehlbildungen geboren.
„Ich wollte mehr Einfluss nehmen auf die co das Interesse für die Medizin weckte. Rund 40 Prozent der Kinder verstarben
Christopher Corsico ist verantwortlich für die Medikamentensicherheit bei Boehringer Ingelheim.
Gesundheit der Menschen", sagt Corsico. „Ich erinnere mich, wie er einmal ein Ste-
im Säuglingsalter. Dazu kam eine unge-
Ein Job, dem er eine zentrale Bedeutung in der Pharmabranche zumisst – im Hinblick auf die
„Einzelnen Patienten zu helfen ist wich-
thoskop nach Hause brachte, mit dem ich klärte Zahl von Totgeburten.
tig, aber meine Vision war, das Wohl und mein eigenes Herz hören konnte. Das hat
„Das ist vielleicht das Schlimmste,
Produktentwicklung, aber vor allem auf das Wohl jedes einzelnen Anwenders.
die Gesundheit vieler zu verbessern." Der mich unglaublich fasziniert."
was in der Geschichte der Pharmaindus-
Arzt ging zurück an die Uni und absol-
trie passiert ist", sagt Corsico. „So etwas
von Stefanie Reinberger
vierte einen Master-Studiengang in Epide-
die Folgen von contergan
darf sich niemals wiederholen." Doch er
miologie chronischer Krankheiten. „Ich
verrät auch, dass dieser Fall die Medi-
wollte die großen Zusammenhänge ver-
Arzneimittelsicherheit klingt nicht kamentensicherheit revolutioniert habe.
stehen. Was braucht es, damit Menschen nach dem aufregendsten Aspekt der Phar-
„Die Food and Drug Administration, al-
insgesamt gesünder und besser leben?"
maforschung. Aber es ist möglicherweise so die Arzneimittelzulassungsbehörde in
Für Corsico lautet eine zentrale Ant-
der wichtigste: „Ich habe als Arzt den den USA, hat daraufhin scharfe Richtli-
wort auf diese Frage: bessere Medika-
Hippokratischen Eid geleistet", sagt Cor-
nien für die Sicherheit vor der Zulassung
mente. Daher entschied er sich mit 34 sico. „Keinem Patienten Schaden zuzufü-
von Medikamenten formuliert." Andere
Jahren, den Arztkittel gegen einen Job in gen, das ist für mich nach wie vor ver-
Behörden weltweit reagierten ebenfalls.
der Pharmaindustrie einzutauschen. Seit bindlich." Das gelinge aber nur, wenn die In Deutschland etwa trat 1975 ein neues 19 Jahren arbeitet er nun schon im Be-
Wirkungsweise einer Substanz rundum Arzneimittelgesetz in Kraft – mit einem
reich der Arzneimittelsicherheit, 17 da-
verstanden ist – mit all ihren Risiken, Ne-
Zulassungssystem, das strenge Anforde-
von bei Boehringer Ingelheim. Heute ist benwirkungen und Gegenanzeigen. „Wir rungen an den Nachweis von Qualität, der 52-Jährige weltweiter medizinischer brauchen möglichst viel Wissen, um die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von
egner Leiter und damit verantwortlich für kli- richtige Balance zu finden zwischen Wir- Arzneimitteln stellt.
. W nische Entwicklung, Medizin und Zulas- kung und möglichen Gefahren."
Außerdem gab der Contergan-Skan-
otos: T sung. „Meine Arbeit wirkt sich auf so vie-
Ein Fall, in dem die Waagschalen von dal den entscheidenden Anschub für das
Alle F le Menschen aus", sagt er. „Das empfinde
Nutzen und Risiko in dramatischer Weise Fachgebiet der Pharmakovigilanz, die
Arzneimittelsicherheit an erster Stelle: Christopher Corsico ist weltweiter Leiter des Bereichs klinische Entwicklung, Medizin und Zulassung bei Boehringer Ingelheim.
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bild der wissenschaft plus 23
Porträt
Risiko für gefährliche Überdosierungen trifft, nachhaltige Konsequenzen hat – will oder Freizeitaktivitäten plant. Da und Medikamentenmissbrauch auf ein für die pharmazeutischen Produkte, die sammelt man doch auch alle möglichen Minimum reduziert wird. Verpackungen sein Arbeitgeber entwickelt und ver-
Informationen, um dann das Beste aus-
müssen kindersicher sein und gleichzeitig treibt, aber auch für die Patienten, die zuwählen." der Zielgruppe die korrekte Einnahme so das Medikament einnehmen. Dass die
Und dann fällt ihm doch noch et-
einfach wie möglich machen. „Stellen Sie meisten Menschen nicht erkennen, wie was ein, was man unbedingt mitbringen sich vor, sie haben ein Arthrose-Medika-
viel Zeit, Geld und Arbeit in die Sicher-
muss, um im Bereich der Medikamen-
ment in einer kindersicheren Dose und der heit von Medikamenten investiert wird, tensicherheit zu arbeiten. „Um diesen Patient kann diese dann nicht öffnen."
bedauert er. „Viele sehen nur, was Medi-
Job zu machen, muss man Spaß daran
Was muss man für Fähigkeiten mit-
kamente kosten und den Profit, den die haben, Rätsel zu knacken", sagt er. „Wir
„Wir brauchen
bringen, um bei all diesen verschiedenen Konzerne mit ihren Produkten natürlich müssen tagtäglich Unmengen von Daten Aspekten den Überblick zu behalten und machen wollen."
interpretieren und wie winzige Puzzle-
möglichst viel
die richtigen Entscheidungen zu treffen?
steine zu Gesamtbildern zusammenfü-
„Das mach ich ja nicht alles alleine, wir Spaß am rätselknacken
gen – wer das nicht mag, wird in diesem
Wissen, um die
haben weltweit mehr als 300 Mitarbei-
Arbeitsfeld nicht glücklich." Knobeln
ter, die sich mit diesen Fragen beschäf-
Nein, ein Sicherheitsfreak sei er nicht, liebte Corsico schon als Kind, und auch
richtige Balance
tigen", lacht Corsico. Der Mediziner sagt Corsico. Er ist keiner, der dreimal heute noch verbringt er seine Feieraben-klingt sehr bescheiden, wenn er das so nachschaut, ob der Herd wirklich aus ist, de gerne mit Kreuzworträtseln und Ana-
zu finden zwischen
sagt. Überhaupt tritt Corsico eher zu-
bevor er das Haus verlässt. Ihm geht es grammen. Davon abgesehen verlangt der
rückhaltend auf. Er spricht ruhig und darum, Informationen zusammenzutra-
52-Jährige von seinen Mitarbeitern vor
Wirkung und mög-
mit Bedacht, aber mit einer einnehmen-
gen und gegeneinander abzuwägen, um allem eines: „Jeder, der in der Pharmain-
den Präsenz. Und man hat den Eindruck, dann die bestmögliche Entscheidung zu dustrie arbeitet, muss sich seiner großen
lichen Gefahren"
dass er nichts Unüberlegtes von sich gibt. treffen. „Aber das ist doch im Leben im-
Verantwortung bewusst sein, denn alles,
Das mag damit zu tun haben, dass jede mer so", findet er. „Wenn es etwa um die was wir machen, hat Konsequenzen für seiner Entscheidungen, die er tagtäglich Familie geht, wenn man ein Haus kaufen jeden einzelnen Anwender."
Wissenschaft, die sich der Überwachung oder sogar noch seltener, ist nicht sehr der Waage, könnte man sagen. Es ist ein bereits zugelassener Medikamente wid-
wahrscheinlich, dass wir sie in den Stu-
Prozess, bei dem zunehmend deutlich
david Keays _ geboren 1976 in Johannesburg und australischer Staatsbürger, ist Neurobiologe und
Arbeitsgruppenleiter am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, an dem biomedizini-
met. Meldesysteme wurden eingeführt, dien bemerken", erklärt Corsico. Sehr wird, für welche Anwendung und Patien-
sche Grundlagenforschung betrieben wird. Hauptsponsor des IMP ist Boehringer Ingelheim.
bei denen Ärzte und Apotheker ebenso seltene Nebenwirkungen kommen daher tengruppen ein Medikament geeignet ist wie Patienten Bericht erstatten über un-
oft erst ans Tageslicht, wenn Ärzte das – und für welche nicht. Das hilft, die An-
erwartete und unerwünschte Reaktionen Medikament verschreiben und die Zahl wendung, aber auch die Gegenanzeigen,
„Nach meiner Promotion an der Universität Oxford hatte ich einen ehrgeizigen Plan: zu verstehen, wel-
auf Medikamente.
der Anwender steigt.
immer präziser zu definieren und so die
che Zellen und Moleküle die Wahrnehmung des Erdmagnetfelds bei Tauben vermitteln. Daher nahm
Rund 5000 Meldungen über Ne-
Sicherheit zu erhöhen.
ich eine Stelle am IMP an, dem Boehringer Ingelheim Grundlagenforschungsinstitut. Das war eine der
benwirkungen gehen jeden Monat bei
„Wussten Sie, dass Thalidomid heute
besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Zusammen mit meinem Team untersuche ich, wel-
die Wissenschaft der Feinjustierung
Boehringer Ingelheim ein. „Das sind ex-
wieder auf dem Markt ist?", sagt Corsico.
che Rolle das Innenohr bei der Wahrnehmung des Erdmagnetfelds spielt. 2013 entdeckte mein Dokto-
trem wertvolle Informationen für uns,
„Außerdem müssen die Probanden in Das einstige Skandal-Medikament dient
rand Mattias Lauwers eine eisenhaltige Struktur in den Sinneszellen des
denn dadurch lernen wir, unsere Pro-
den klinischen Studien strenge Kriterien heute der Behandlung von Menschen mit
Innenohrs von Tauben. Wir wollen nun herausfinden, ob es sich dabei
dukte besser zu verstehen", sagt Corsico. erfüllen. Sie dürfen zum Beispiel kein Lepra und mit Multiplen Myelomen, ei-
um den mysteriösen Magnetrezeptor handelt. In einem anderen Pro-
Zulassungsverfahren und die zugehöri-
Herzleiden haben, wenn wir im Rahmen ne Krebserkrankung des Knochenmarks.
jekt, das gerade angelaufen ist, versuchen wir, einen künstlichen Ma-
gen Tierversuche und klinischen Studien eines Zulassungsverfahrens ein Diabe-
Das ist für den Amerikaner ein Beispiel
gnetrezeptor zu entwickeln. Dabei verwenden wir Moleküle aus ganz
sind eben nur ein Teil der Geschichte. tes-Medikament prüfen", argumentiert für erfolgreiche Pharmakovigilanz. „Tha-
unterschiedlichen Tierarten und entwickeln eine neue Methode für die
Der kniffligste Teil der Arzneimittelsi-
Corsico weiter. Die klinischen Studien lidomid darf niemals wieder bei Schwan-
Neurowissenschaften. Mit der Technik werden wir Nervenzellen mithilfe
cherheit beginne eigentlich erst danach, klopfen die Wirkung des Arzneimittels geren angewendet werden, aber bei einer
eines Magnetfelds gezielt und mit hoher zeitlicher Präzision aktivieren
wenn das Produkt auf dem Markt sei im Zusammenhang mit Diabetes ab – streng definierten Patientengruppe über-
können. Es wird nicht einfach werden – aber unglaublich spannend!
und sich im „echten Leben" bewähren da müssen weitere Faktoren so weit wie wiegt der Nutzen über mögliche Risiken, muss, so Corsico.
möglich ausgeschlossen werden. Erkran-
und diese Menschen profitieren von dem
Es ist wahnsinnig aufregend, wenn wir etwas wirklich Neues entdecken.
NACHWUCHSFORSCHER IM PORTRÄT
Der Grund: Selbst in ausgeklügelten kungen des Herzkreislaufsystems sind Wirkstoff."
Das Gefühl, dass noch niemand das jemals zuvor gesehen oder ver-
klinischen Studien sind die Patienten-
jedoch häufig bei Diabetikern, so dass
Arzneimittelsicherheit geht aber noch
standen hat, ist elektrisierend. Das ist ein ganz besonderer Au-
gruppen meist zu klein, um sehr seltene sich Diabetes-Medikamente im realen weiter: Da gilt es Beipackzettel zu for-
Nebenwirkungen zuverlässig zu erfas-
Einsatz auch vor diesem medizinischen mulieren, mit denen Ärzte und Patienten
sen. „Wenn eine bestimmte Reaktion nur Hintergrund bewähren müssen. Pharma-
etwas anfangen können. Packungsgrö-
bei einem von 10 000 Patienten auftritt, kovigilanz dient also der Feinjustierung ßen müssen so gewählt werden, dass das
24 bild der wissenschaft plus
Kraftakt für einen
Es war eine Sternstunde für Boehrin- van Ryn. Vor rund 20 Jahren war sie aus
ger Ingelheim: Hunderte von Mit-
ihrer Heimat Kanada nach Biberach gezo-
arbeitern hatten daran gearbeitet, gen, wollte nach ihrer Doktorarbeit über
und nun, am 19. Oktober 2010, war sie Blutgerinnsel weiter auf diesem Gebiet da: die Zulassung für den Gerinnungs-
forschen – und fand hier das ideale Um-
hemmer Dabigatran (Handelsname: feld. Gerade war man dabei, mit Hilfe der Pradaxa®), das erste Präparat zur Vorbeu-
Gentechnik ein besonderes Medikament
gung von Schlaganfällen bei Patienten mit herzustellen, den gewebespezifischen Vorhofflimmern, mit dem die Wirkung Plasminogenaktivator Alteplase. Er kann der bisherigen Standards übertroffen Gerinnsel auflösen und hat als Actilyse® werden konnte. Vorausgegangen waren ungezählten Patienten mit Herzinfarkten,
Zwischen der Entwicklung eines Arzneimittels und dessen
jahrelange Forschung und Studien mit Schlaganfällen und Lungenembolien das mehr als 18 000 Patienten. Wohl niemals Leben gerettet.
Vermarktung steht die Zulassung. Die Geschichte des Antikörpers
zuvor hatte das 1885 gegründete Famili-
Gleichzeitig wurden neue Wege zur
Idarucizumab illustriert die Herausforderungen des Verfahrens.
enunternehmen solch einen Aufwand für Blutgerinnungshemmung erforscht. Zwei ein einziges Produkt betrieben.
Jahre wollte die Biologin zunächst nur
„Das war ein Grund zum Feiern", er-
bleiben, doch dann traf sie nicht nur ihren
innert sich Joanne van Ryn, wissenschaft-
heutigen Ehemann, sondern bekam auch
liche Expertin für Gerinnungshemmung noch ein Jobangebot, das sie nicht ableh-und eine der Geburtshelferinnen von Ida-
nen konnte: Nun wollte man als nächstes
rucizumab. „Und nun wollten wir noch eine ganz neue Art von Blutgerinnungs-das Tüpfelchen auf dem i." Zusätzlich zu hemmern entwickeln und man holte da-dem Gerinnungshemmer sollte neben den für van Ryn mit ins Boot. Bis heute hat bestehenden Verfahren ein spezifisches die Wissenschaftlerin 78 Fachpublikatio-Gegenmittel bereitstehen. Denn wer Prä-
nen vorzuweisen; die meisten davon auf
parate wie Dabigatran oder auch das älte-
diesem Gebiet. Seit dem Jahr 2006 ist sie
re Marcumar einnimmt, erhöht damit das mit dabei im „Product and Pipeline Sci-Risiko, eine Blutung zu erleiden.
entific Support" für Dabigatran, schrieb
Diese Nebenwirkung ist mit allen Me-
unter anderem den Pharmakologie-Teil
dikamenten aus dieser Klasse ebenso un-
für dessen Zulassungsanträge bei den
trennbar verbunden wie die Vorder- und beiden größten Behörden FDA und EMA. die Rückseite einer Medaille. Blutungen Parallel dazu – und noch vor der Zulas-etwa im Gehirn oder auch im Magen sung von Dabigatran in den USA – be-können in sehr seltenen Fällen auch beim gann van Ryn sich Gedanken zu machen, vorschriftsmäßigen Gebrauch eintreten. wie ein mögliches Gegenmittel aussehen Auch wenn Patienten unter einem Blutge-
könnte. Zusammen mit dem Chemiker,
rinnungshemmer einen schweren Unfall der Dabigatran synthetisiert hatte, und haben, oder plötzlich operiert werden den Antikörper-Experten, beschloss sie müssen, sind die Ärzte besonders gefor-
schließlich, dieses Molekül direkt ins
Visier zu nehmen – und zwar mit einem
Zwar verliert Dabigatran nach dem maßgeschneiderten Antikörper.
Absetzen seine Wirkung sogar schneller,
als dies bei den Vitamin-K-Antagonisten Auf Erfahrungen zurückgreifen
durch die Verabreichung von Vitamin-K möglich ist, dennoch hatten sich viele
Die gesamte Infrastruktur für die
Ärzte ein maßgeschneidertes und noch anfänglichen Untersuchungen war am schnelleres Gegenmittel gewünscht.
Standort Biberach bereits vorhanden. Ein
Hans-Christoph Diener, Direktor der „Riesenvorteil" war es außerdem, auf die
Klinik für Neurologie am Universitäts-
Dabigatran-Erfahrungen zurückgreifen
Joanne van Ryn mit dem Präparat
klinikum Essen und einer der weltweit zu können. Im ersten Schritt verabreichte
Pradaxa zur Vorbeugung von Schlag-
führenden Experten zur Vorbeugung des man Dabigatran an Mäuse, und zwar in
anfällen bei Patienten mit Vorhofflim-
Schlaganfalls, berichtet: „Bei jedem Vor-
einer Form, die eine Immunreaktion auf
mern und dem dazu entwickelten
trag über Dabigatran werde ich nach ei-
das Mittel besonders stimuliert. Tatsäch-
Gegenmittel Idarucizumab.
nem Gegenmittel gefragt."
lich bildeten sich zahlreiche verschiedene
Kaum jemand schien besser vorberei-
Antikörper, unter denen man die aus-
Alle F tet, diesen Wunsch zu erfüllen, als Joanne
sichtsreichsten Kandidaten isolierte und
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bild der wissenschaft plus 27
nach Ridgefield in den USA schickte. Dort gezielte Veränderungen an der Bindungs-
dabei gewesen, und so war es gelungen,
„vermenschlichten" eine Handvoll Spezi-
stelle ihres Antikörpers vorgenommen, diesen Entwicklungsschritt in rund einem
alisten den Maus-Antikörper. Bei dieser und damit die Haftung an Dabigatran Jahr zu bewältigen. Ein Kernteam von ge-Methode werden Teile des Antikörpers, auf das 20-fache gesteigert. Der Name des rade einmal zehn Mitarbeitern hatte die die von der Maus stammen, durch Frag-
neuen Moleküls: Idarucizumab.
Grundlage gelegt, und nun besaß man mit
mente ersetzt, wie sie für menschliche An-
Die Biologin schwärmt von Bindungs-
Idarucizumab einen maßgeschneiderten
tikörper typisch sind. So kann man ver-
konstanten, von schneller On- und lang-
Wirkstoff, mit dem sich die blutverdün-
hindern, dass die Antikörper später vom samer Off-Rate. Dies bedeutet, dass der nende Wirkung von Dabigatran wieder Immunsystem des Patienten als fremd neue Antikörper sein Ziel sehr schnell er-
aufheben ließ. Im Reagenzglas.
erkannt und angegriffen werden. Schließ-
fasst und dann nicht mehr loslässt „wie ein
Zwar würde ein Teil des Kernteams
lich haben van Ryns Kollegen auch noch Superkleber". Ein wenig Glück sei auch die weitere Entwicklung begleiten, jetzt
aber waren andere Spezialisten gefragt: Sicherheits-Pharmakologen, Präklinische Pharmakokinetiker, Mediziner, Biotech-nologen – und Experten für den Zulas-
Claudia Niestroj
lagert Plasmaproben
Teil der Aufgabe war es, das neue Bio-
in einem Eisbad. Die
molekül in ausreichender Menge bereit-
Proben stammen aus
zustellen. Reichten für die Forschungs-
Studien an Schwei-
phase noch kleine Fermenter von 800
nen, die mit Pradaxa
Liter Volumen, galt es nun, bei konstant
und Idarucizumab
hoher Qualität wesentlich größere Men-
behandelt wurden.
gen für die anstehenden klinischen Stu-dien zu liefern. Schließlich musste dieser Prozess des „Upscaling" auch sicherstel-len, dass im Falle einer Zulassung der weltweite Bedarf an Idarucizumab ohne Lieferengpässe gestillt werden könnte. „Glücklicherweise verfügt Boehringer In-gelheim als einer der weltweit führenden Hersteller von Biopharmazeutika über langjährige Erfahrungen und große Ent-wicklerteams an mehreren Standorten, sodass wir auch diese Herausforderung bestanden haben", so van Ryn.
Eine weitere Herausforderung, die es
Produktion von Idarucizumab in Fermentern. Hermann Hutzel (vorn) arbeitet an der Prozessdo-
zu bestehen galt, war der Umstand, dass
kumentation, im Hintergrund bedienen Andreas Angele, Sarah Lotter und Franz Gerstenlauer das
Idarucizumab zu einer Klasse von Wirk-
Steuerungssystem der Fermentationsanlage. Der obere Bildschirm zeigt den Prozessablauf, am
stoffen gehört, mit denen selbst die Zulas-
unteren Bildschirm verfolgen die Mitarbeiter die einzelnen Arbeitsschritte und Anweisungen.
sungsbehörden bislang kaum Erfahrung hatten.
Auf einer eigens einberufenen Konfe-
oralen Antikoagulantien (NOACs), zu nicht, wäre schon aus ethischen Gründen es genug Daten gebe, um die Ergebnisse
renz trafen sich deshalb im April 2014
denen Dabigatran gehört, würden nicht sehr problematisch. Wegen ihrer Bedeu-
unter Praxisbedingungen zuverlässig zu
Fachleute des „Cardiac Safety Research
ausreichend genutzt, solange es keine Ge-
tung neige man dazu, die NOAC-Gegen-
Consortiums" und Experten der US-ame-
genmittel gebe, so das White Paper.
mittel für den Gebrauch in lebensbedroh-
Die Untersuchung war eine enorme
rikanischen Zulassungsbehörde FDA. In
Um diese Gegenmittel zu testen, müss-
lichen Situationen zuzulassen, wenn diese Herausforderung, auf die man jedoch
einem „White Paper", das die wichtigs-
ten jedoch besondere Regeln gelten. Ab-
Moleküle in präklinischen Untersuchun-
vorbereitet war. „Bei allem, was wir hier
ten Ergebnisse zusammenfasst, bekräfti-
gesehen von dem 20 Jahre alten Präparat gen gut charakterisiert würden, etwa auf erforschen, haben wir natürlich auch das
gen sie die Wichtigkeit von Idarucizumab,
Digibind® gegen eine Überdosis mit dem Wirkstärke und Dauer, schreiben die Ex-
Ziel einer späteren Zulassung im Blick",
weil es spezifisch die Blutverdünnung nach
Herzmittel Digitalis und ein paar Antise-
perten in ihrem White Paper. Und schließ-
erklärt van Ryn. Alle Daten werden do-
Dabigatrangabe normalisieren kann.
ren gegen Schlangengifte kennt die Me-
lich dürften sie in den ersten Tests beim kumentiert, alle Erkenntnisse strukturiert
„Spezifische Gegenmittel sind wichtig,
dizin fast keine spezifischen Gegenmittel. Menschen keine schädlichen Nebenwir-
und archiviert.
weil die Blutgerinnungshemmung immer
Schließlich sind diese Arzneien für seltene kungen zeigen. Zusätzlich wollte man die
Vorgeschrieben sind auch Tierversu-
noch zu wenig genutzt wird, um Schlag-
Notfälle gedacht. Eine der üblichen gro-
Auflage machen, dass nach der Zulassung che, um nicht nur die Wirksamkeit, son-
anfälle bei Patienten mit Vorhofflimmern
ßen Vergleichsstudien, bei denen die eine die verfügbaren Informationen aus der dern auch die Sicherheit neuer Präparate
zu verhindern." Die Vorteile der neuen
Gruppe das Antidot erhält und die andere Anwendung ständig ergänzt würden, bis besser abschätzen zu können. Ein Beitrag
28 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 29
dazu waren Versuche mit Ratten, denen
tran erhielten und wegen eines Notfalls Ryn ihren Kollegen Paul A. Reilly, der Bedingungen erzielt: 76,5 Jahre war das
man eine hohe Dosis Dabigatran verab-
eine schnelle Aufhebung der Wirkung des zusammen mit seinem Team die Studie Durchschnittsalter der Studienteilnehmer,
reicht hatte, und deren Blutung mit Idaru-
koordiniert hat.
und viele unter ihnen hatten eine gestörte
cizumab schnell und sicher gestoppt wer-
Es war eine enorme Herausforderung.
Ein unverzichtbarer Bestandteil war Nierenfunktion.
den konnte. Genauere und zuverlässigere
Per Definition geschehen Notfälle uner-
es, dass die Ärzte sich dazu verpflichteten,
Bei 36 Patienten, die wegen einer
Aussagen erhoffte man sich von einem
wartet, auch mitten in der Nacht oder am in engen zeitlichen Abständen Blutpro-
Notfalloperation behandelt wurden,
Tiermodell, das dem Menschen sehr viel
Wochenende, man kann sie nicht einpla-
ben abzunehmen: unmittelbar vor und verzeichneten die Ärzte in 33 Fällen eine
ähnlicher ist als die Ratte: das Schwein.
nen, und sie sind sehr selten, erklärt van nach der ersten Infusion, nach 10 bis 30 ganz normale intraoperative Blutgerin-
Tatsächlich gelang es in Zusammenarbeit
Ryn. Auch musste sichergestellt werden, Minuten, sowie nach 1, 2, 4, 12 und 24 nung, lediglich bei zwei Probanden war
mit einer Forschergruppe an der RWTH
dass die Patienten überhaupt Dabigatran Stunden nach der zweiten Infusion. Nun die Blutgerinnung leicht und bei einem
Aachen, Blutungen bei Schweinen mit Ida-
eingenommen hatten.
konnte man anhand der Gerinnungsfak-
mäßig gestört. Dies sei „ein extrem wich-
rucizumab binnen 15 Minuten zu stillen.
toren im Blut und der Konzentrationen tiger Schritt", lobte Schlaganfall-Experte
Noch immer waren die Daten nicht
rund um die Uhr – und den Globus
von Dabigatran und Idarucizumab die Professor Hans-Christoph Diener. Er
ausreichend, um einen Zulassungsantrag
Wirkung des Gegenmittels exakt nach-
hofft, dass Idarucizumab bald schon in
zu stellen. Gleich drei Studien mit Frei-
24 Stunden am Tag, sieben Tage in verfolgen.
jeder Notfallaufnahme verfügbar sein
willigen sollten folgen. Zunächst wurde
der Woche standen darum „Aufpasser"
Stolz zeigt van Ryn die Grafiken für die wird. Die Chancen dafür stehen gut, denn
der Antikörper alleine verabreicht, um zu
bereit. 300 Patienten wollte man in die ersten 90 Patienten, die die Veröffentli-
gerade erst haben die Experten der EMA
messen, wie schnell er abgebaut wird und
Studie einschließen und spannte dazu ein chung der Ergebnisse in der renommierten die Zulassung empfohlen.
ob er gut verträglich ist. Dann wurde den
Netz von mehr als 400 Zentren in 38 Län-
Fachzeitschrift „New England Journal of
„Ist die Arbeit jetzt erledigt, Dr. van
Freiwilligen zunächst Dabigatran und
dern – von Neuseeland über Hongkong Medicine" begleiteten. Sie dokumentie-
Ryn?" Wohl kaum, schmunzelt die For-
anschließend der Antikörper verabreicht,
und Europa bis Kanada und den USA. ren den Erfolg unter realen Bedingungen: scherin. Auch nach der Zulassung werden
um zu prüfen, ob er auch beim Menschen
Jeder teilnehmende Studienarzt, jedes Innerhalb von Minuten konnte Idaruci-
weiter Daten gesammelt, um zu untersu-
die gerinnungshemmende Wirkung von
Zentrum musste informiert und geschult zumab die Wirkung von Dabigatran bei chen, wie das Antidot in der Praxis ein-
Dabigatran aufheben kann.
werden, um die geeigneten Patienten zu nahezu allen Patienten aufheben. Dies gesetzt wird. Diese Ergebnisse werden
„Diese Studien haben bestätigt, dass
erkennen, sie in die Studie einzuschließen war das Ergebnis, auf das sie alle ge-
Ärzten bei ihren alltäglichen Therapie-
Idarucizumab wirkt wie erwartet und
und Idarucizumab zu verabreichen. „Es hofft hatten. Noch dazu hatte man die-
entscheidungen helfen, die Patienten op-
dass es keine überraschenden Nebenwir-
war eine fantastische Leistung", lobt van sen Erfolg unter besonders schwierigen timal zu versorgen.
kungen gibt", so van Ryn. Inzwischen war Idarucizumab bereits geadelt mit dem sogenannten Breakthrough-Status bei der US-Behörde FDA. Dieser Status wird für besondere therapeutische Innovationen
verliehen und ist eine Art Überholspur,
Alessandra Bartolozzi, _ geboren 1973 in Prato, Italien, ist Chemikerin und Teamleiterin in der
mit der die oft jahrelangen Verfahren ab-
Medizinal-Chemie bei Boehringer-Ingelheim in Ridgefield, USA.
gekürzt werden sollen für jene Arzneien, die auf ernsthafte und lebensbedrohliche
„Es gibt viele Aspekte, die meinen Job einzigartig machen. Aber zwei Dinge ragen besonders heraus:
Erkrankungen zielen. Voraussetzung ist
die Patienten und die Herausforderung. Wir stehen in einer Art „Bündnis" mit den Patienten –
aber, dass der Antragsteller zumindest
den Menschen, die an einer Krankheit leiden und deshalb auf den nächsten Durchbruch in
vorläufige Belege erbringt, wonach das
der medizinischen Forschung warten. Jedes neue Experiment oder Projekt hat zum Ziel, den
Arzneimittel eine erhebliche Verbesse-
Menschen dort draußen zu helfen. Dem zweiten Aspekt – der Herausforderung – begegnen
rung darstellt.
wir jeden Tag. Es gibt immer ungelöste Fragen und Probleme, die mit immensen technischen
Sind alle Voraussetzungen gegeben,
Herausforderungen verbunden sind. Wir arbeiten im festen Glauben daran, dass es für alles
so wird die Durchsicht der Dokumente
eine Lösung gibt. Doch die Arzneimittelentwicklung ist mühsam. Es gibt viele Misserfolge
beschleunigt, für Besprechungen mit der
und nur gelegentliche Durchbrüche. Doch eben diese Durchbrüche sind es, die uns unse-
Behörde gibt es schneller Termine oder
rem Ziel näher bringen: einen Unterschied im Leben der Patienten zu machen.
man setzt besonders erfahrene Prüfer ein, was die Marktzulassung ebenfalls be-
Gerade hat eine Serie neuer Projekte begonnen, in denen es um Autoimmunerkrankungen
geht. Meine Arbeitsgruppe und ich werden an einigen dieser Projekte arbeiten. Momen-
Parallel zum Zulassungsverfahren
tan befinden wir uns noch in der „Entdeckungsphase": Wir müssen herausfinden, wie wir
startete Mitte 2014 dann der alles ent-
die Zielstrukturen –sogenannte „targets" – modulieren können, um den gewünschten
scheidende Praxistest, der die „erheb-
pharmakologischen Effekt zu erzielen. Ich freue mich sehr auf die Herausforderungen,
NACHWUCHSFORSCHERIN IM PORTRÄT
Das Zulassungsverfahren für Idarucizumab startete Mitte 2014.
liche Verbesserung" beweisen sollte. In
die vor mir liegen."
Foto: Boehringer Ingelheim
Am 25. September 2015 haben die Experten der Europäischen
RE-VERSE AD™ – so der Name dieser
Arzneimittelagentur (EMA) die Zulassung empfohlen.
weltweiten Patientenstudie – wurde das Gegenmittel erstmals in der klinischen Praxis bei Patienten getestet, die Dabiga-
30 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 31
Ist das der Mann, der für Boehringer bietet. Und darüber gibt es oft Streit. „Es Lungenfibrose, und Olodaterol in einer
Ingelheim in die Zukunft schaut? Mi-
werden teilweise Medikamente nicht neuen Kombinationstherapie mit Tio-
chel Pairet lächelt bescheiden. Nur ei-
Im Zeichen des
mehr angemessen honoriert, deren Nut-
tropium gegen die chronisch-obstruktive
ner von vielen sei er hier, sagt der globale zen für die Gesellschaft und die Patienten Lungenerkrankung (COPD).
Leiter der nicht-klinischen Forschung und wir für erwiesen halten", beklagt Gantner.
Dass der Erfolg so bleibt, ist auch die
Entwicklung beim zweitgrößten deut-
Aufgabe Pairets. Der Forschungsleiter be-
schen Pharmakonzern. 1992 ist der Fran-
das Problem der Kosten
wertet die neuen Trends, er schmiedet Ko-
zose zur Firma gekommen. In fließendem
operationen und trifft strategische Ent-
Deutsch erklärt er, wie die Branche da-
Der Vorreiter dieser Bewegung war scheidungen. Vor allem aber kultiviert er
mals funktioniert hat: „Wenn man eine eine britische Behörde, das National ein Klima der Kreativität und lockt kluge wirksame Substanz hatte, brachte man sie Institute for Health and Clinical Excel-
Köpfe nach Ingelheim und nach Biberach,
lence, kurz NICE. Sie errechnet, wie viel Wien und Ridgefield, USA.
Es war also etwas einfacher als heute,
Mit Teamwork, Kreativität und Offenheit bereiten Boehringer-Forscher
ein gewonnenes Lebensjahr bei guter Le-
Am Anfang steht die Strategie der The-
denn für häufige Leiden gab es oft nur un-
den Boden für Innovationen in einem schwierigen Markt.
bensqualität kostet. Liegt der Preis unter rapiegebiete. Wo besteht medizinischer
zureichende Behandlungsmöglichkeiten. 30 000 Pfund (etwa 42 000 Euro), wird Bedarf, den man mit der Entwicklung Gleichzeitig war dies auch eine Chance, das Medikament erstattet. Mehr Geld spezifischer Medikamente und Therapien
denn man kannte bereits für viele Krank-
stellt der aus Steuern finanzierte britische befriedigen könnte? Auf einer „Krank-
heiten den zugrunde liegenden Mecha-
Gesundheitsdienst nicht zur Verfügung. heitskarte 2025" stehen die Indikationen
nismus. Was fehlte, waren „nur noch" Schon mit einer der ersten Entscheidun-
mit dem größten unbefriedigten Bedarf.
Wirkstoffe, die an diesen Stellen ansetzen gen machte NICE sich unbeliebt, weil sie Es sind gleichzeitig die lohnendsten Zie-würden. Natürlich war das auch schon eine Reihe von Alzheimer-Arzneien als le: Klar spezifizierte Erkrankungen in den früher leichter gesagt als getan – dennoch Geldverschwendung einstufte.
Therapiegebieten Atemwege, Herz-Kreis-
war das die Basis für die Entdeckungen
Zwar musste NICE ihr Urteil später lauf und Krebs, Stoffwechsel, Immunolo-
neuer Moleküle und neuer Produkte. „Es teilweise revidieren. Das Beispiel der Kos-
gie und Neurologie.
gab noch nicht diesen Kampf um den Zu-
tenrechnung aber machte weltweit Schule.
Der zweite Filter fragt danach, ob es
gang zu den Märkten", so Pairet.
Seit 2007 empfiehlt etwa in Deutschland wissenschaftliche Ansätze gibt, diesen Be-
30 Jahre später steht die Pharmaindus-
das Institut für Qualität und Wirtschaft-
darf zu adressieren. Gibt es beispielswei-
trie vor einer großen Herausforderung, lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) se genetische Veränderungen, bestimmte diagnostiziert Professor Florian Gant-
den gesetzlichen Krankenkassen, welche Proteine oder Bestandteile von Signalket-
ner, Globaler Leiter der Translationalen Medikamente erstattet werden sollten. ten, die als Angriffspunkte dienen könn-Medizin & Klinischen Pharmakologie. Den Rest müssen die Versicherten ent-
ten? „Schließlich fragen wir uns, ob wir
„Zwar haben wir die Leiden unzähliger weder aus eigener Tasche bezahlen, oder mit unseren Möglichkeiten auf diesem Ge-Patienten gelindert, und darauf können schlimmer noch, die Medikamente kom-
biet im Wettbewerb bestehen können, ob
wir stolz sein. Damit haben wir aber zu-
men erst gar nicht in den Verkehr, weil die wir also die entsprechenden Kapazitäten
gleich die Messlatte für weitere Erfolge Hersteller befürchten müssen, damit ein für Forschung und Entwicklung in einem höher gelegt."
Verlustgeschäft zu machen.
bestimmten Bereich haben und das not-
Leider gibt es aber noch immer Patien-
Trotz dieser schwierigen Umstände wendige Know-how", erklärt Pairet.
ten und Krankheiten ohne zufriedenstel-
erwirtschaftete Boehringer Ingelheim mit
Heute gelingt es den Chemikern bei
lende Behandlungsmöglichkeiten. Hier seinen rund 48 000 Mitarbeitern zuletzt Boehringer Ingelheim, kleine Moleküle bestehe die Herausforderung darin, voll-
einen Umsatz von 13,3 Milliarden Euro mit beeindruckenden Eigenschaften zu
ständig neue und klinisch relevante Me-
und liegt damit auf Platz 17 weltweit.
synthetisieren, die die genannten Ziele ins
chanismen zu identifizieren, sagt Pairet.
Besonders stolz ist man auf Dabiga-
Visier nehmen. Dazu kommen biologische
Die müssten dann mit Arzneien angegan-
tran, einen Blutgerinnungshemmer, der Ansätze. Biotechnologisch hergestellte
gen werden, deren Wirksamkeit und Si-
50 Jahre nach der Einführung von War-
Proteine, die Gentherapie oder zellbasier-
cherheit außer Frage steht. Dass man sich farin als erstes neues orales Antikoagu-
te Behandlungen haben enorm an Bedeu-
dabei an dem jeweiligen Goldstandard lans weltweit zugelassen wurde. Mit dem tung gewonnen. „Manchmal verfolgt man messen muss, und die Qualitätsansprüche ebenfalls als Tablette verabreichten Anti-
bei Boehringer auch zwei oder drei Ansät-
somit immer weiter steigen, sieht Pairet diabetikum Empaglifozin verfügt man ze parallel", so Chefstratege Pairet.
positiv: „Dem stellen wir uns mit aller über den einzigen Wirkstoff zur Senkung
An die 100 Forschungsprojekte ver-
des Blutzuckerspiegels, der eine Reduk-
folgt der Konzern gleichzeitig und inves-
„Heute ist eine zusätzliche Hürde die tion des Herzkreislauf-Risikos in einer tierte dafür im letzten Berichtsjahr knapp
Wirtschaftlichkeit", sagt Gantner. Das dafür ausgelegten Studie demonstrieren 2,7 Milliarden Euro in Forschung, nicht-
Ein internationales Team ist der
bedeutet: Neben Neuheit, Wirksamkeit, konnte. Neu auf den Markt kommen Afa-
klinische und klinische Entwicklung.
Regelfall bei Boehringer Ingelheim.
egner Sicherheit und Qualität muss nachgewie-
tinib zur Behandlung von fortgeschritte-
Als Brückentechnik dient zunehmend
. W sen werden, ob eine neue Arznei gegen- nem Lungenadenokarzinom, Ninteda- die Bioinformatik. Sie hilft, die Daten Foto: T über der Konkurrenz einen Zusatznutzen
nib zur Behandlung der idiopathischen aus den verschiedenen Bereichen des Un-
32 bild der wissenschaft plus
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den dabei beschritten, auf denen man im
Auch das Crowd-Sourcing hat man erkennen helfen, welche Patienten am
Bereich der Forschung schon lange dabei für Boehringer Ingelheim entdeckt: Pro-
ehesten von einem Wirkstoff profitieren
ist, die aber nicht zum aktuellen Portfolio bleme werden dabei in regelrechten Aus-
– und welche eher nicht.
gehören. Noch nicht.
schreibungen dargestellt, sei es in Fach-
Hier könnte auch einer der Schlüssel
Das nötige Know-how holen sich die zeitschriften oder auf einer Webseite. Die zur Lösung der Kostenfrage liegen, sagt
Forscher nicht nur auf traditionelle Art Kandidaten mit den besten Lösungsvor-
Gantner. Eine der jüngsten Entwicklun-
über die Fachliteratur und den Besuch von schlägen erhalten die Chance, die eigene gen, Afatinib (Giotrif®), wirkt gegen Kongressen. Boehringer Ingelheim leistet Idee in einem gut ausgestatteten Labor zu den metastasierenden nicht-kleinzelligen sich auch spezielle Pfadfinder, die „Inno-
prüfen und zu entwickeln. So vielfältig Lungenkrebs unterschiedlich gut, je
vation Seekers". Sie sind unterwegs in den die verschiedenen Kooperationen auch nachdem, ob das Zielmolekül auf den wissenschaftlichen Zentren der Welt und sein mögen, es überwiegen doch die Ge-
Zellen der Patienten eine bestimmte
helfen, Kontakte anzubahnen.
meinsamkeiten bei der Suche nach neuen Mutation aufweist oder nicht. Die Zu-
Mit Research Beyond Borders wagt Wirkstoffen und bei deren Entwicklung. lassung der Arznei ist deshalb auf genau
Boehringer Ingelheim sich jenseits der Schon bei der Zielvorgabe steht der Pa-
jene Patienten beschränkt.
Firmengrenzen. So ist längst ein breites tient im Mittelpunkt. Im Labor geht es
In ähnlicher Weise werden Patien-
Netzwerk entstanden, mit führenden uni-
dann mit Zellkulturen und in Tierversu-
ten künftig immer häufiger „stratifi-
versitären und außeruniversitären For-
chen darum, ein Abbild der Krankheit ziert", glaubt Gantner. Ob Diabetes
schungszentren, aber auch mit offenen Al-
dieses imaginären Patienten zu schaffen. oder die Lungenerkrankung COPD:
lianzen zur Entwicklung neuer Wirkstoffe Möglichst nah dran am Original soll es Viele Krankheitsbilder, die heute noch unter Beteiligung anderer Pharma- oder sein, dieses Krankheitsmodell, sodass aufgrund ähnlicher Symptome zusam-Biotechunternehmen. Schließlich gibt es die Ergebnisse auch übertragbar sind mengefasst werden, könnten als eigen-einen Strauß von Kooperationen mit der-
und nicht nur Wirkungen, sondern auch ständige Leiden anhand genetischer und
zeit 15 jungen und kreativen Start-Ups, mögliche Nebenwirkungen abschätzbar anderer Biomarker klassifiziert werden. die von dem firmeneigenen Venture Fund werden.
Je mehr es gelingt, solche Subpopula-
Foto: Boehringer Ingelheim
unterstützt wurden, der mit einem Kapital
tionen von Patienten zu identifizieren,
von 100 Millionen Euro ausgestattet ist. Biomarker sind ein Schlüssel
umso präziser würde die Behandlung,
Wenn Moleküle gesucht werden, die auf neu entwickelte therapeu-
Die Förderung – darauf legt Pairet Wert –
erwartet Gantner. Natürlich würden
tische Angriffspunkte wirken, kann Boehringer Ingelheim auf eine
verzichtet auf unnötige Einschränkungen
Eine Schlüsselrolle spielen dabei die auch weniger Menschen Arzneien be-
riesige Bibliothek von Substanzen zurückgreifen.
der Partner und ist viel mehr als nur eine Biomarker – messbare Werte im Blut kommen, von denen sie keinen Nutzen Finanzspritze: „Transferiert wird nicht nur oder Gewebe, die biologische Prozesse haben. Damit würde sein Unternehmen Geld, sondern auch die Expertise unserer widerspiegeln, und an denen sich die gleichzeitig die Versorgung verbessern
ternehmens zugänglich zu machen und
Bestseller wie das Atemwegspräparat Wege einzuschlagen. „Wir geben unseren
Experten", berichtet Pairet. „Im Gegenzug Wirksamkeit einer Substanz abschätzen und zur Kostensenkung im Gesund-
zu interpretieren. Und Daten gibt es je-
Tiotropium (Handelsname: Spiriva®), kreativen Köpfen die Freiheit, ihre Ideen zu
lernen wir eine Menge von der Kreativität lässt. Biomarker gibt es auch für die Si-
heitswesen beitragen. „Und das ist eine
de Menge: Insbesondere die Bildgebung der Blutgerinnungshemmer Dabigatran überprüfen und zu entwickeln. Das ist Teil
und der Agilität dieser Wissenschafts-Un-
cherheit. Und in jüngster Zeit kommt ein Bilanz, auf die wir alle stolz sein kön-
und die Sequenzierung des Erbguts von (Pradaxa®) und Linagliptin (Trajenta®) der Firmenstrategie."
weiterer Faktor hinzu: Biomarker, die nen", so Gantner.
Patienten können schon mal die Hoch-
zur Behandlung von Diabetes finanzieren
„Die wahre Entdeckungsreise in der Arz-
geschwindigkeitsleitungen überfordern, auch ein Programm, das Pairet besonders neimittelentwicklung besteht nicht darin, sodass man sich teilweise mit dem Ver-
am Herzen liegt.
neue Landschaften zu sehen, sondern dar-
sand von Festplatten behelfen muss. „Wir
in, neue Augen zu haben", zitiert Pairet den
sitzen auf einem Berg von Daten, aus dem Forschung ohne Grenzen
französischen Schriftsteller Marcel Proust
wir noch nicht genug Kapital schlagen",
frei. So gelang es auch den „Querdenkern"
sagt Gantner selbstkritisch.
„Research Beyond Borders" heißt es, am Rhein, die Kehrseite des Krebsmittels
Mehr als 8000 Menschen waren im also Forschung ohne Grenzen. „Wir dürfen Nintedanib zu entdecken und erfolgreich
Jahr 2014 bei Boehringer in der For-
nicht zu Sklaven unseres eigenen Erfolges gegen die idiopathische Lungenfibrose ein-
schung und Entwicklung tätig. Natürlich werden und uns mit den bisherigen Er-
zusetzen. „Viele unserer Wissenschaftler
kennt Pairet diese Zahl. Er weiß aber rungenschaften zufrieden geben", erklärt machen Vorschläge. Es sind mehr Ideen da, auch, dass Man-Power und Milliarden-
Pairet. „Die neuen wissenschaftlichen als wir verfolgen können", sagt Pairet. „Es
investitionen alleine nicht ausreichen, um Erkenntnisse müssen ja nicht unbedingt herrscht also ein Wettbewerb, und die Ge-im internationalen Wettbewerb zu beste-
aus einem unserer angestammten Indika-
winner bekommen die Möglichkeiten, ihre
hen. Pairets Beitrag zum Erfolg ist subti-
tionsgebiete kommen. Daher müssen wir Ideen zu verfolgen – in einem eigenen La-
ler. „Kreativität und Innovation kommen sehr wachsam sein und versuchen, jene bor und durch Kooperationen mit akade-von Laborwissenschaftlern, nicht vom Erkenntnisse zu identifizieren, die neue mischen Zentren oder mit Wissenschaftlern Management. Alles dreht sich um Men-
therapeutische Durchbrüche ermöglichen bei Biotech-Firmen oder Start-Ups."
schen, die voller Neugier, mit harter Ar-
könnten." Um Biotech-Experten aus aller
Dabei geht man eine ganze Reihe kleiner
Der Franzose Michel Pairet
beit und Experimentierfreude sich mit an-
Welt anzulocken, bietet man Forschern Wetten ein. Auch Gebiete wie die Genthe-
ist seit 1992 bei Boehringer
deren Kreativen austauschen", so Pairet.
die Möglichkeit, quer zu denken und neue rapie und die Regenerative Medizin wer-
34 bild der wissenschaft plus
bild der wissenschaft plus 35
MEILENSTEINE BEI BoEHRINGER INGELHEIM
1885 Albert Boehringer erwirbt eine kleine
1986 Das Biotechnikum in Biberach nimmt
2015 Einführung von Glyxambi® auf dem
Weinsteinfabrik in Ingelheim. Anfangs sind
den Betrieb auf. Es ist nach einer Investition
US-amerikanischen Markt zur Behandlung
dort 28 Mitarbeiter beschäftigt, die Salze der
von rund 77 Millionen Euro die größte Pro-
von Typ-2-Diabetes. Abasaglar®, eine
Weinsäure für Apotheken und Färbereien her-
duktionsanlage für Biopharmazeutika aus
Gemeinschaftsentwicklung von Boehringer
stellen. Die Nachfrage nach diesem Produkt
Zellkulturen in Europa.
Ingelheim und Eli Lilly & Co., ist das weltweit
steigt in den ersten Jahren rasant an.
erste zugelassene Insulin Biosimilar, das den
Actilyse®, das erste bei Thomae/
Wirkstoff Insulin glargin enthält. Einführung
Die Firma meldet ihr erstes Patent
Boehringer Ingelheim biotechnisch herge-
des Kombinationspräparats Synjardy® zur Be-
für ein neues Verfahren zur Herstellung von
stellte Präparat zur Therapie des akuten
handlung von Typ-2-Diabetes. Einführung von
Backpulver auf Milchsäurebasis an.
Herzinfarkts, erhält die Zulassung.
Spiolto® Respimat® (in USA Stiolto™ Respi-
1917 Gründung der Wissenschaftlichen
1995 Erstmals in der Geschichte des
mat™) zur langwirksamen Dauertherapie für
Abteilung auf Anregung des Chemikers und
Unternehmens werden für Forschung und
Patienten mit COPD (chronisch-obstruktiver
späteren Nobelpreisträgers für Chemie Prof.
Entwicklung weltweit mehr als eine Milliarde
Dr. Heinrich Wieland (1877 – 1957), einem
Mark aufgewendet.
Im weltweit agierenden Unternehmens-
Vetter von Albert Boehringer.
2002 Das COPD-Präparat Spiriva® wird
verband Boehringer Ingelheim sind aktuell
1920 Einführung des Herz-Kreislauf-Prä-
47 700 Menschen beschäftigt (Umsatz 2014:
parats Cadechol®, das am Anfang der Reihe
2010 Pradaxa® wird zur Vorbeugung von
13,317 Milliarden Euro). Allein 8100 Mitarbei-
erfolgreicher Herz-Kreislauf-Präparate von
Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflim-
ter arbeiten in Forschung und Entwicklung,
Boehringer Ingelheim steht.
mern zugelassen.
für die das Unternehmen 2,7 Milliarden Euro
1927 Heinrich Wieland erhält den Nobel-
2011 Boehringer Ingelheim erhält die
preis für Chemie für seine „Untersuchungen
Zulassung für Trajenta® zur Behandlung von
über die Zusammensetzung der Gallensäure
®Registered Trademark: englischer Fachbegriff für
Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes.
und verwandter Verbindungen".
registrierte Warenmarke
2013 Zulassung von Giotrif® für die Behand-
Einführung des Atemwegspräparats
lung einer bestimmten Form des Lungenkar-
Aludrin®. Dieses erste Asthmamittel eröffnete zinoms und Pradaxa® für die Behandlung und
später auch den Weg zu den sogenannten
Vorbeugung von tiefer Venenthrombose und
massiver Lungenembolie. Marktzulassung
1951 Einführung von Buscopan®, einem
des COPD-Produkts Striverdi®.
schmerz- und krampflösenden Mittel auf
2014 Zulassung von Ofev® zur Behandlung
pflanzlicher Basis zur Behandlung von Ma-
von idiopathischer pulmonaler Fibrose,
gen- und Darmerkrankungen.Einführung des
Jardiance® bei Typ-2-Diabetes, Spiriva® Res-
ersten Präparates aus der Thomae-Forschung: pimat® bei Bronchialasthma und Vargatef®zur
Finalgon®-Salbe zur perkutanen Wärme-Reiz-
Behandlung einer bestimmten Form von
1975 Einführung von Atrovent® zur Be-
handlung von COPD (chronisch-obstruktive
Atemwegserkrankung).
1985 Das Institut für Molekulare Pathologie
(IMP) in Wien wird gegründet.
Eines der drei großen Forschungs-zentren von Boehringer Ingelheim befindet sich im oberschwäbischen Biberach an der Riß.
36 bild der wissenschaft plus
Foto: Boehringer Ingelheim
Source: http://www.wissenschaft.de/documents/12054/9135473/bdw_pharma_9434_DS_72dpi.pdf/50f3a167-3114-482c-a8b1-bd593f792823
Anaesthesia 2014, 69 (Suppl. 1), 35–44 Should general anaesthesia be avoided in the elderly? C. Strøm,1 L. S. Rasmussen2 and F. E. Sieber3 1 Research Assistant, 2 Professor, Department of Anaesthesia, Centre of Head and Orthopaedics, Rigshospitalet, Copen-hagen University Hospital, Copenhagen, Denmark3 Professor of Anaesthesiology, Department of Anaesthesiology/Critical Care Medicine, The Johns Hopkins MedicalInstitutions, Baltimore, Maryland, USA
Journal of Ecology 2012, 100, 950–957 Interspecific differences in determinants of plantspecies distribution and the relationships withfunctional traits Masahiro Aiba*†, Hino Takafumi and Tsutom Hiura Tomakomai Research Station, Field Science Center for Northern Biosphere, Hokkaido University, Takaoka,Tomakomai 053-0035, Japan 1. Environmental control and dispersal limitation are both essential processes in plant communityassembly and species distribution. Although numerous studies in the past decade have examinedtheir importance as determinants of community composition, remarkably little is known aboutinterspecific differences in the importance of these two processes.2. To quantify these interspecific differences, we compared the importance of environmental fac-tors and space as correlates of species distribution among 24 understorey plant species in a Japanesecool–temperate forest by performing variation partitioning at the species level. Specifically, wehypothesized that the importance of environment and space differs among species, and these differ-ences can be partly predicted from the functional traits and ⁄ or phylogenetic identity of each species.3. The unique contributions of both environment and space were significant in the community-levelanalysis. However, at the species level, the relative and absolute sizes of the unique contributions ofenvironment and space differed considerably among the 24 species. Environment and space werenot necessarily significant variables explaining the distribution of many species.4. No significant relationships were found between the unique contribution of environment and thefour functional traits tested, that is, dispersal mode, seed mass, plant height and specific leaf areaamong the 24 species. In contrast, the unique contribution of space was significantly larger in specieswith no dispersal mechanisms than in animal-dispersed species. No significant phylogenetic signalwas detected for the unique contribution of environment or space, suggesting that importance ofenvironmental control and dispersal limitation as determinants of species distribution is evolution-arily labile.5. Synthesis. Our results suggest that the relative and absolute importance of different processes ofcommunity assembly (i.e. environmental control and dispersal limitation) differs remarkablyamong species even within a single community. These interspecific differences may be explained inpart by interspecific differences in dispersal mode.